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Gequält

Gequält

Titel: Gequält
Autoren: Hans Koppel
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zum Journalisten. Ich will, dass du bei der Zeitung bleibst, keine Frage. Aber wie du selbst sagst, hinterlässt eine derartige Geschichte Spuren. Du brauchst Zeit, um dich davon zu erholen. Die Gefahr, dass du aus dem Gleichgewicht gerätst, ist groß. Und dann will dich niemand mehr haben. Nimm mein Angebot an, setz dich an einen Tisch und polier Texte auf. Erst wenn man die unredigierten Texte der anderen liest, sieht man ein, dass eigentlich niemand schreiben kann, und das eröffnet einem zwei Wege.«
    Anders begriff nicht.
    »Entweder«, fuhr die Chefredakteurin fort, »denkst du, verdammt, was schreiben die alle lausig, und wirst dir dadurch deiner eigenen Defizite und Begrenzungen bewusst. Was aus dir einen gründlicheren und fähigeren Schreiber macht.«
    »Oder?«, fragte Anders.
    »Oder du denkst dir, verdammt, was schreiben die alle lausig, und bildest dir ein, dass du so viel besser bist, und dann  … «
    »Und dann?«
    »Dann gehst du denselben Weg wie ich und landest irgendwann auf einem Chefposten. Entweder oder.«
    Anders lachte.
    »Gut«, sagte die Chefredakteurin und klopfte ihm auf die Schulter. »Abgemacht, du fängst am Montag an.«

78
    Es gab Fotos im Internet. Nicht sonderlich gute, aber immerhin. Odense wusste jetzt, wie Calle Collin aussah. Sara Vallgren hatte einen Unfall bestellt, und sie würde ihren Unfall bekommen. Odense hatte ihm bereits eine Schlagzeile verpasst: »Drunk Danish Driver.« Er stahl Nummernschilder auf einem unbewachten Langzeitparkplatz bei Kopenhagen, verstaute sie in seinem Rucksack und nahm den Nachtzug nach Stockholm. Ein Auto wollte er vor Ort klauen. Nach getaner Arbeit würde er die schwedischen Nummernschilder wieder anschrauben, den Wagen irgendwo abstellen und die dänischen Nummernschilder wegwerfen, wo sie niemand finden würde. Wenn alles glattging, würde es für den Vorfall vielleicht ein halbes Dutzend Zeugen geben, die aussagen konnten, dass Calle Collin von einem Wagen mit dänischem Kennzeichen überfahren worden war und der Fahrer anschließend die Flucht ergriffen hatte.
    Aber der Unfall würde sich erst in ein paar Tagen ereignen. Vorher wollte sich Odense einen möglichst guten Überblick über Calle Collins Lebensgewohnheiten verschaffen. Die Schwuchtel war freiberuflicher Journalist und arbeitete offenbar zu Hause. Zumindest befand er sich dort, als Odense kurz nach zehn am Vormittag dort anrief.
    Es war schwer, Leute zu beschatten, wenn man keine Möglichkeit hatte, sich in einem Auto zu verstecken. Stockholm war keine Weltstadt, und es gab keine Menschenmengen, in denen er hätte verschwinden können. Odense setzte sich in ein Café gegenüber von Collins Haus und bestellte in holperigem Englisch mit starkem türkischen Akzent einen Tee. Er breitete eine türkische Zeitung, die er auf dem Hauptbahnhof gekauft hatte, vor sich aus und las sie eingehend. Nachdem die Bedienung seinen Tisch abgeräumt und ihn zum dritten Mal gefragt hatte, ob sie ihm noch etwas bringen könnte, war offenbar, dass er nicht länger sitzen bleiben konnte. Er verließ das Café und schlenderte die Straße entlang, ohne Calles Haustür aus den Augen zu lassen. Anschließend überquerte er die Tulegatan und flanierte unendlich langsam zurück. Er betrachtete die Auslagen in den Schaufenstern mit gespieltem Interesse, was ihm schwerfiel.
    Odense sah ein, dass er vermutlich doch ein Auto mieten musste, um unbemerkt die Haustür im Auge behalten zu können. Er konnte den Mietwagen ja irgendwo abstellen, während er das Schwein mit dem gestohlenen Wagen über den Haufen fuhr. Keine dumme Idee. Anhand des Mietwagens ließe sich zwar später nachweisen, dass er sich zum Zeitpunkt von Calle Collins Unfall in Stockholm aufgehalten hatte, aber das bewies noch gar nichts. Und falls die Polizei seine Anwesenheit tatsächlich mit Calles Unfall in Zusammenhang brachte, konnte er immer noch darauf hinweisen, dass er schließlich ein Auto gemietet hatte, warum also hätte er eins stehlen sollen?
    In diesem Augenblick verließ Calle Collin das Haus. Er trug eine beige Chino und ein blaues Hemd und kam direkt auf Odense zu, der auf die Uhr schaute, um seinem Blick auszuweichen. 12.33 Uhr, stellte Odense fest und setzte seinen Weg fort. Als Calle Collin an ihm vorbeigegangen war, zog Odense sein Handy aus der Tasche und tat so, als nähme er ein Gespräch entgegen. Er hielt inne, sprach Türkisch und murmelte diversen Unsinn, ehe er sich umdrehte und Calles Verfolgung
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