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George, Elizabeth

George, Elizabeth

Titel: George, Elizabeth
Autoren: Wer dem Tod geweiht
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der Landkarte
zu urteilen, die sie in der Hand hielt.
    »Hey, Cliff!«, rief Gordon.
Der Lehrling und die Frau blickten zu ihm hoch.
    Gordon konnte das Gesicht der
Frau nicht erkennen; sie hatte einen breitkrempigen Strohhut auf mit einem
fuchsiafarbenen Schal als Hutband. Die gleiche Farbe fand sich in ihrem Kleid,
einem Sommerkleid, das ihre gebräunten Arme und Beine betonte. Sie trug einen
goldenen Armreif und Sandalen, und unter ihrem Arm klemmte eine aus Stroh
geflochtene Handtasche, deren Riemen lose über ihrer Schulter lag.
    »Sorry! Ich wollte der Lady
nur helfen...«, antwortete Cliff, während die Frau gleichzeitig lachend rief:
»Ich habe mich total verirrt! Es tut mir furchtbar leid. Er hat mir
angeboten...« Sie wedelte mit der Landkarte, wie um das Offensichtliche zu
erklären: Irgendwie war sie vom Park zum Verwaltungsgebäude spaziert, dessen
Dach Gordon gerade neu deckte. »Ich habe noch nie gesehen, wie ein Reetdach
gedeckt wird«, fügte sie hinzu, vielleicht um etwas Nettes zu sagen.
    Aber Gordon stand der Sinn
nicht nach Nettigkeiten. Er war voller Zorn, den er irgendwie loswerden musste.
Er hatte keine Zeit für Touristen.
    »Sie will zum Monet's Pond«,
rief Cliff.
    »Und ich will den verdammten
First hier fertig kriegen«, lautete Gordons Antwort, allerdings mit einem
eindeutigen Unterton. »Am Brunnen drüben geht ein Weg ab. Der Brunnen mit den
Nymphen und Faunen. Da muss man links abbiegen. Sie sind rechts abgebogen.«
    »Wirklich?«, rief die Frau.
»Tja... typisch für mich.« Sie blieb stehen, als erwartete sie, dass das
Gespräch weiterging. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille, und sie wirkte auf
Gordon wie ein Filmstar vom Typ Marilyn Monroe, denn sie war üppig gebaut,
genau wie Marilyn, nicht so spindeldürr wie die Stars und Sternchen, die man
inzwischen überwiegend zu sehen bekam. Auf den ersten Blick hatte er sie
tatsächlich für eine Berühmtheit gehalten. Entsprechend gekleidet war sie
jedenfalls, und die Selbstverständlichkeit, mit der sie erwartete, dass ein
Mann seine Arbeit unterbrach, nur um mit ihr zu plaudern, legte den gleichen
Schluss nahe. »Jetzt müssten Sie den Weg ganz leicht finden«, beschied er der
Frau knapp.
    »Schön wär's«, sagte sie, und
dann fragte sie, was er ziemlich lächerlich fand: »Da sind doch keine... äh,
Pferde, oder?«
    Gordon dachte schon, was zum
Teufel, als die Frau hinzufügte: »Es ist nur, weil... Na ja, ich fürchte mich
vor Pferden.«
    »Die Ponys tun nichts«, sagte
er. »Die bleiben für sich, solange Sie nicht versuchen, sie zu füttern.«
    »Gott, das würde ich nie im
Leben tun!« Sie schwieg, als erwartete sie, dass er darauf etwas erwidern
wollte, was jedoch nicht seine Absicht war. Schließlich sagte sie: »Also
dann... Vielen Dank.« Damit war der Plausch beendet.
    Sie machte sich auf den Weg,
den Gordon ihr genannt hatte, nahm ihren Hut ab und ließ ihn an den
Fingerspitzen schwingen. Ihr Haar war blond und zu einem Pagenkopf geschnitten,
und wenn sie es schüttelte, fiel es sofort wieder in Form und schimmerte im
Licht, so als wüsste es genau, was es zu tun hatte. Gordon war Frauen gegenüber
nicht immun, und ihm fiel auf, dass sie einen anmutigen Gang hatte. Aber es
regte sich nichts in ihm, weder im Herzen noch im Schritt, und darüber war er
froh. Er hielt sich lieber fern von Frauen.
    Cliff kam mit zwei Bunden
Stroh auf dem Rücken auf das Gerüst geklettert. »Tess gefiel sie«, sagte er,
als wollte er irgendetwas erklären oder die Frau in Schutz nehmen. »Vielleicht
deine Chance für einen neuen Versuch, Kumpel.«
    Gordon sah der Frau nach.
Nicht etwa, weil er von ihr fasziniert gewesen wäre oder weil er sie attraktiv
gefunden hätte, sondern um zu sehen, ob sie am Nymphenbrunnen richtig abbog.
Sie tat es nicht. Er schüttelte den Kopf. Hoffnungsloser Fall, dachte er. Sie
würde auf der Kuhweide landen, ehe sie wusste, wie ihr geschah, doch dann sagte
er sich, dass sie dort mit Leichtigkeit jemanden finden würde, der ihr
weiterhalf.
     
    Cliff wollte nach Feierabend
noch einen heben, Gordon nicht. Er trank überhaupt keinen Alkohol, und er hatte
noch nie etwas davon gehalten, sich mit seinen Lehrlingen anzufreunden. Außerdem
war Cliff erst achtzehn und Gordon dreizehn Jahre älter, sodass er sich
meistens vorkam wie dessen Vater. Vielleicht hatte er aber auch nur
Empfindungen, wie ein Vater sie haben könnte, dachte er. Schließlich hatte er
keine Kinder und wollte auch keine.
    »Tess braucht ein
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