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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund
Autoren: Thomas Pletzinger
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sich mit Konsti und Bobby zurückgezogen und das Spiel mehrmals angesehen, ohne mechanische oder taktische Lösungen für das nächste Aufeinandertreffen zu finden.
    »Sollen wir wieder zurück zur Zone?«
    »Ist vielleicht besser.«
    »Wenn wir Zone spielen, finden sie andere Lücken. Hier.«
    »Wo?«
    »Wenn die Zone so nicht funktioniert, lassen wir uns eben auf ganz traditionelle Weise beißen.«
    »Ich bin für Zone.«

    Also Psychologie. Der Coach hat dem Team gestern Abend nur wenige Szenen gezeigt. Die Sequenz, in der Sven und Jacobsen aneinandergeraten und Bamberg aufwacht, hat er immer wieder zurückspulen lassen.
    »Okay, seht ihr das hier? Das ist Jacobsens Foul. Der Winkel stimmt nicht, er floppt. Natürlich! Aber der Schiedsrichter gibt Sven das Foul. Natürlich schreie ich die Schiedsrichter an. Natürlich! Aber warum spielt ihr das nicht genauso? Das ist das Spiel. Ihr müsst genauso arbeiten. Ihr erwartet Fair Play, aber das Leben funktioniert so nicht. Fuck the referees! Bamberg haut euch hinten um, und vorne erlauben ihnendie Refs alles. Expect dirty, expect unfair! Wenn wir unkonzentriert sind und die Energie nachlässt, bringen uns solche Dinge aus dem Konzept. Wir dürfen uns nicht aus dem Konzept bringen lassen. Fuck the referees! Wir spielen hier nicht gegen uns selbst. Wir spielen gegen ein Team auf einer Mission.«
    Das erste Viertel gehört Bamberg, aber Berlin beißt sich ins Spiel. Katzurin wechselt langsamer als im letzten Spiel, der Chaos-König kommt zur Ruhe. Auch beruhigend: Alle Spieler sind bei der Sache. Jeder, der eingewechselt wird, spielt sofort mit. Auch die Halle ist wach, 14   118 Zuschauer, eine Rekordkulisse für ein deutsches Finalspiel. Tadija hat seine Nerven im Griff, Mac verteidigt und Jenkins punktet. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit blockt Jenkins spektakulär einen Bamberger und treibt danach die Halle an. Solche Emotionen sieht man selten von ihm. Aber heute ist so ein Tag.
    In der Halbzeitpause stehen die Journalisten versammelt im Spielertunnel. Sie wollen dabei sein, wenn die Mannschaft Geschichte macht. Nach der Pause kommt die Mannschaft nun auch konzeptuell wach aus der Kabine, sie zieht nun ihr Spiel auf, sie spielt Berliner Basketball. Zwar werfen die Bamberger hochprozentig Dreier, aber alle anderen wichtigen Statistiken gehören uns. Die Schiedsrichter fallen heute nicht auf, der beste deutsche Referee Robert Lottermoser ist fast unsichtbar (was ihn zum besten deutschen Schiedsrichter macht).
    Wir gewinnen die Rebounds, spielen 28 Assists und begehen nur zwölf Turnover. Taylor Rochestie liefert sein bestes Spiel in diesen Playoffs ab, dreizehn Punkte, zehn Assists, sechs Rebounds. Die Berliner Aufbauspieler rebounden besser als die Bamberger Center. Derrick Allen trifft in der zweiten Hälfte von überall und immer. Die Halle ist enthusiastisch. Und diesmal klappt Bamberg zusammen. Bei sechs Minuten zwanzig auf der Uhr ballt Yassin die Faust, als er zurückläuft. Berlin schickt Bamberg mit zwanzig Punkten Differenz nach Hause, 87:67. Die Eimer mit Glitter und Konfetti werden noch heute Nacht abgehängt, die Trophäen fahren heute Nacht noch nach Bamberg. Und wir hinterher, um sie zu holen.

    ZEHN STUNDEN VOR DER ENTSCHEIDUNG, am Morgen des 18. Juni 2011, sitzt Alice Cooper im Schlosshotel und beißt einem Mangojoghurt den Kopf ab. Oder war das Ozzy Osbourne? Cooper hat gestern ein verregnetes Open-Air-Konzert irgendwo in der Nähe gegeben. Beim Frühstück ist er abgeschminkt und trinkt Pfefferminztee. Für Bobby ist das ein schlechtes Omen.
    »We can’t win in this hotel!«, sagt Bobby neun Stunden vor der Entscheidung. »I’m telling you. We simply cannot!«
    Coach Katzurin bringt heute kaum einen Bissen herunter. Konsti und ich erledigen den letzten Morgenlauf der Saison in Bestzeit, zwölf Kilometer in einer Stunde, schnurgerade durch Mohn und Kornblumen, die Regnitz entlang bis zur Mündung in den Main. Auf dem Schlossberg erkennt uns ein Passant an Konstis Logo auf dem T-Shirt als Berliner.
    »Das muss man sich mal vorstellen«, sagt Konsti. »Du stehst morgens in einer mittelalterlichen Stadt auf dem Platz vor dem Schloss und wirst von einem einzelnen Fußgänger ausgepfiffen. Großartig, oder?«
    Als wir zurückkommen, sind es noch acht Stunden bis zur Entscheidung.
    Die Zeit fliegt. Wir fahren zum Shootaround und kurz danach sind wir schon wieder zurück. Noch sieben Stunden. Vor dem Hotel lässt sich Alice Cooper für die
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