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Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund
Autoren: Thomas Pletzinger
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Fan geworden. Ich male mir aus, wie wir beim nächsten Mal gewinnen werden. Ich stelle mir Paul Neumanns Wut vor. Sein Blutdruck würde steigen, er würde röter und röter, dunkelrot würde er, und schließlich würde er platzen wie Rumpelstilzchen. Ich muss laut lachen, und Bobby sieht mich an, als würde ich in der Oper telefonieren.
    Vielleicht, notiere ich, werden wir Meister, und Paul Neumann platzt. Vielleicht fühlt es sich so an, richtiger Fan zu sein: Man hofft auf das Platzen der anderen.

    14. JUNI 2011. Das vierte Spiel ist ein kurzer Prozess. Es gibt solche Tage, an denen alles zusammenpasst und eine Niederlage nicht infrage kommt. Vor der Halle begrüßen uns deutlich mehr als hundert Fans. Sie sind trotz der Niederlage in Bamberg euphorisch. Sprechchöre und High Fives. Der Hallensprecher Tom hält bereits jetzt ein Bier in der Hand. »Gegen die Nerven«, sagt er und prostet uns zu.
    Eigentlich stehen wir nach der klaren Niederlage in Bamberg mit dem Rücken zur Wand. Bamberg führt. Bamberg kann heute gewinnen. Im Gang neben der Kabine steht ein Rollwagen mit den vorbereiteten Siegergestecken, einer Deutschlandfahne und den Trophäen. Er habe gerade die Siegerehrung für Bamberg proben müssen, sagt Tom, komplett, mitsamt aller Namen. Goldsberry. Šuput. Terry. Unter der Hallendecke hängen Eimer mit Konfetti und Glitter. Man kann sie vom Spielfeld aus sehen, von der Bank und von den Plätzen in den ersten Reihen. »Wir gratulieren dem alten und neuen Deutschen Meister Brose Baskets Bamberg«, habe er immer wieder sagen müssen, sagt Tom, und das gehe an die Substanz. Tom ist ebenfalls Fan. Aber eigentlich sind wir sicher, dass die Glittereimer heute wieder abgehängt werden müssen. Heute ist eben so ein Tag.

    Zum letzten Heimspiel der Saison erscheint Patrick Femerling mit lackierten Zehennägeln. In den frühen Morgenstunden nach Spiel drei hat er vor dem Fernseher gesessen und zugesehen, wie Dirk Nowitzki gegen die Miami Heat seine erste Meisterschaft gewonnen hat. SeineTochter ist aufgewacht und durch das Wohnzimmer geturnt. Weil er gerührt war, wie wir alle gerührt waren, hat Femerling ihr erlaubt, seine Zehen zu lackieren. Damit sie still war, während Nowitzki die Trophäe reckte.
    Ich habe das Spiel mit Konsti und Henning Harnisch in der Magnet Bar in Mitte gesehen. Der Laden zeigt sonst Fußball, aber er war mitten in der Nacht so voll, dass die Menge bis auf die Straße stand, und als Nowitzki in die Kabine rannte, um allein zu sein, war auch die Magnet Bar gerührt. All die Jahre, die man Nowitzki zugesehen hat! Im Morgengrauen sind wir euphorisiert nach Hause gelaufen, es hat sich angefühlt, als könnten auch wir eigentlich nur gewinnen. So ein Tag.
    In der Umkleidekabine sieht man den deutschen Nationalspielern den Stolz auf Nowitzki an. Stolz wandelt sich vor so einem wichtigen Spiel schnell zu Zuversicht und Selbstbewusstsein, aber auch den Bambergern wird das nicht anders gehen.
    Mithat redet in leuchtenden Worten über seinen Zimmerkollegen.Die Zeitungen wollen Interviews mit Leuten, die Nowitzki kennen, Nowitzki selbst ist nicht zu erreichen. Es ist ein wenig, als hätten wir alle seine Meisterschaft mitgewonnen. Mithat liest die Textnachrichten vor, die er mit Nowitzki geschrieben hat. Nowitzki wünscht Glück gegen Bamberg. Femerling hört Mithat zu. Femerling steht in der Kabine und ist bereit für den Gegner, rechts trägt er Pink und links trägt er Lila.
    Vor dem Spiel haben Femerling und die anderen zum letzten Mal im Café über den Dächern Kaffee getrunken und Torte gegessen. Sie haben davon gesprochen, wie sie nach dem letzten Spiel nach Hause kommen werden. Marko Marinovi ć und seine Freundin sind mit einem geliehenen Auto nach Belgrad zurückgefahren, einen Tag und eine ganze Nacht, das Auto so vollgepackt, dass sie sich nicht bewegen konnten, Taschen und Tüten überall. Tadija und Miro haben bereits Freunde bestellt, die sie abholen werden. Die Spieler tauschen ihre Telefonnummern aus, als ob sie sich nicht mehr wiedersehen würden. »Noch zwei Spiele«, hat Coach Katzurin gesagt. Also heute das letzte Mal Cheesecake mit Blick auf die Lichtenberger Plattenbauten im Osten, auf die O2 World, auf die Stadt, die die meisten wohl bald verlassen werden.
    Dass Bamberg gut ist, weiß jeder. Dass Bamberg schlagbar ist, weiß der Coach. Für Katzurin ist die Niederlage eine Kopfsache gewesen. Mentale Fehler und Konzentrationsmängel haben den Sieg gekostet. Der Coach hat
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