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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
Autoren: Thomas Buehrke
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Informationsübertragung zu erfüllen. Doch Reis war das nicht genug, und dann kam er auf den entscheidenden Gedanken: »Wie nimmt unser Ohr die Gesamtschwingungen aller zugleich thätigen Sprachorgane wahr?« 4 In seiner kurzen Autobiografie schrieb er: »Durch meinen Physikunterricht dazu veranlasst, griff ich im Jahre 1860 eine schon früher begonnene Arbeit über die Gehörwerkzeuge wieder auf und hatte bald die Freude, meine Mühen durch Erfolg belohnt zu sehen, indem es mir gelang, einen Apparat zu erfinden, durch welchen es möglich wird, die Funktionen der Gehörwerkzeuge klar und anschaulich zu machen, mit welchen man aber auch Töne aller Art durch den galvanischen Strom in beliebiger Entfernung reproduzieren kann … Ich nannte das Instrument Telephon.« 5
    Wie funktioniert das Ohr, das Reis als Vorbild für sein Telefon nahm? Die Ohrmuschel fängt die Schallwellen auf und leitet sie in den Gehörgang. So gelangen sie zum Trommelfell, eine kreisrunde, hauchfeine Membran, die von den Schallwellen in Schwingungen versetzt wird. Innen am Trommelfell sitzen drei Knöchelchen, die wegen ihrer Form als Hammer, Amboss und Steigbügel bezeichnet werden. Die Schallwellen versetzen das Trommelfell in Schwingungen, die wiederum ein »Aufheben und Niederfallen des Hammers auf den Amboss« auslösen. Diese erschüttern »die Schneckenflüssigkeit, in welcher der Gehörnerv sich ausbreitet«, 6 schrieb Reis.
    Neben der Funktionsweise des Gehörs, die damals noch gar nicht ganz entschlüsselt war, beschäftigte sich Reis gleichzeitig mit dem Problem, wie sich Schallwellen physikalisch darstellen lassen. So stellte er sich die Frage, wie es möglich ist, dass wir mehrere, gleichzeitig eintreffende Töne getrennt wahrnehmen können. Dies ist eine bis heute nicht gänzlich geklärte Frage. Reis beantwortete sie sich qualitativ mit einer Überlegung, die schon 1822 der französische Physiker Jean Fourier mathematisch gelöst hatte: Jede beliebig geformteWelle oder Schwingung lässt sich durch Überlagerung von mehreren Sinusschwingungen darstellen. »Er wurde nie überdrüssig, unzählige Kurven von Klängen anzufertigen, um darzulegen, wie nötig es sei, dass der Tongeber diesen graphischen Darstellungen folgen müsse, ehe man eine perfekte Sprachwiedergabe erreichen könne«, 7 erinnerte sich später Reis’ ehemaliger Schüler Rudolph Messel.
    Und so machte sich Reis daran, gewissermaßen ein elektrisches Ohr zu bauen. Dafür schnitzte er aus Holz eine Ohrmuschel, die den Schall auffing und nach innen in einen Kanal reflektierte, der auf der Rückseite offen war. Dort spannte er eine Haut auf, die er aus einer Hasen- oder Schweinsblase gewann. Auf der Rückseite dieses künstlichen Trommelfells klebte er ein Platinblättchen, das sich in ganz geringem Abstand zu einem Platindraht befand. Blättchen und Draht bildeten gleichsam Hammer und Amboss, die einen Stromkreis öffneten und schlossen, wenn die Membran in Schwingungen versetzt wurde. Eine Batterie lieferte die nötige Spannung.
    Dieses künstliche Ohr war der Sender, man könnte auch sagen: das Mikrofon. Der in diesem Stromkreis befindliche Empfänger bestand aus einer metallenen Stricknadel, die von einem mit Seide isolierten Draht umwickelt war. Sie bildete eine Spule um die Stricknadel, die ihrerseits durch das Aus- und Einschalten des Stromkreises wechselnd magnetisiert wurde und sich bewegte. Physiker sprechen von Magnetostriktion. Diese Bewegung übertrug sich auf die Geige, in der die Spule steckte, und diese brachte als idealer Resonanzkörper die in das Ohr gesprochenen Worte mehr oder weniger deutlich wieder hervor.
    Reis hat seine Experimente nicht in einem Laborbuch beschrieben. Sein erster Biograf, der englische Physiker Silvanus Thompson, sammelte später Augenzeugenberichte, die ein ungefähres Bild nachzeichneten. So erinnerte sich Reis’ ehemaliger Schüler Ernst Horkheimer, dass viele hundert Membranen bei den Versuchen zerrissen und ausgetauscht wurden.Einmal ersetzte Reis die Membran sogar durch eine dünne Metallfolie, doch brachte dies keine Qualitätsverbesserung. Das gelang erst später Alexander Graham Bell.
    Der Lautsprecher funktionierte wohl etwas besser, wenn er die Spule nicht in einem der s-förmigen Löcher der Geige, sondern am Steg befestigte. Doch schon bald rangierte Reis die Geige ganz aus und brachte die Spule mit zwei Metallstangen auf einem Holzkasten an, der als Resonanzkörper diente. Damit übertrug er Sätze und gesungene
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