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Generation A

Generation A

Titel: Generation A
Autoren: Douglas Coupland
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wäre ich nicht weiter überrascht gewesen.
    Unsere Befürchtungen bestätigten sich sofort, als wir zur Esso-Tankstelle kamen: Zwei weitere Leichen schaukelten im Wind die der beiden Männer, der Solon-Verbrenner, vom Flugplatz. Das überraschte uns: Wir hatten gedacht, sie seien diejenigen gewesen, die das Lynchen organisierten. Hoseneinscheißend wagten wir uns weiter in die Stadt rein, bekamen aber keine Menschenseele zu Gesieht. Es war niemand da, dem wir uns ergeben konnten. Alle waren fort.
    »Was zum ...?«
    Julien meinte: »Vielleicht sind sie im alten Dorf.« Masset besteht aus zwei Ortsteilen: dem neuen Masset, in dem wir lebten, und dem alten, einem Indianerreservat gut drei Kilometer die Straße rauf.
    Wir gingen zurück, um den Pick-up zu holen. Diana fuhr, während Harj und ich auf der Pritsche standen und die weiße Flagge hielten.
    Als wir uns Alt-Masset näherten, verlangsamten wir auf Schleichtempo; wir wollten niemanden überrumpeln. Doch als wir dort waren, sahen wir nur ein paar kläffende Hunde. Nicht einen Haida.
    Wir hielten vor einem niedergebrannten Haus mit einer Halskette aus kniehohen, sonnengebleichten, grauen Walfischknochen um den Vorgarten. Diana sagte: »Offensichtlich sind sie alle zusammen irgendwo hingegangen, aber wohin?«
    Wir fluchten.
    »Tja, und wo sollen wir nun hin?«, fragte ich. »Wahrscheinlich sind jeden Moment die Einsatzkommandos hier, um uns auszuradieren.«
    »Uns wird man nicht umlegen«, sagte Diana. »Mittlerweile wissen alle Bescheid. Darum können sie uns nicht töten. Von der Seite kann uns also nichts passieren.«
    »Wenn du das glauben willst, glaub es. Aber ich denke, wir sind gefickt.«
    »Fahren wir zum Flugfeld«, schlug Harj vor. »Wir können uns die Flugzeugtrümmer noch mal bei Tageslicht ansehen.«
    Weil auch uns anderen nichts Besseres einfiel, machten wir uns auf den Weg zum Flugplatz. Auch hier keine Menschenseele, nur die ausgeglühten Zeugen des Absturzes vom vorangegangenen Abend, die man jetzt besser sehen konnte, da das ganze trockene Gras und Gestrüpp ringsum niedergebrannt waren. Harj wanderte zu den Trümmerteilen, unter denen die Leichen lagen, und begann zu beten.
    »Warum tust du das?«, fragte ich ihn. »Ich dachte, du bist nicht sehr religiös.«
    »Ich bete nicht für die Toten, sondern für mich selbst. Ich bete darum, irgendeinen Sinn in dem sehen zu können, was mit uns passiert.«
    Diana sagte: »Das geht mir ähnlich.« Sie rief Julien und Sam zu uns herüber. »Kommt her. Wir wollen für das Nachrichtenteam vom dritten Programm beten. Macht ihr mit?«
    »Klar.«
    So kam es, dass wir fünf schließlich dastanden und ein zweiminütiges stummes Gebet für das Nachrichtenteam vom dritten Programm sprachen.
    Beten ist komisch. Beim Beten verlässt man den gewohnten Zeitstrom und betritt einen stilleren Ort, wo die Uhren anders gehen und Dinge, die man nicht sehen kann, einen Wert haben.
    Kurz vor Ablauf der zwei Minuten hörten wir von Westen Hubschrauber kommen. »Scheiße!«, schrie Diana. »Abhauen!«
    Wir konnten hören, wie drei oder vier Hubschrauber die Landebahn erreichten und einen Moment über ihr in der Luft standen, bevor sie landeten. Wir rannten in den nahegelegenen Wald. Geräusche aus der Außenwelt wurden sofort leiser, von der Vegetation geschluckt. Wir glaubten nicht, dass man uns entdeckt hatte, rannten aber trotzdem tiefer in den Schlund des Dickichts hinein, wateten bis zur Hüfte im Moos und kletterten über verrottende Schierlingstannen in der Größe von Frachtcontainern, deren Holz unter uns wie Kuchenteig zerkrümelte. Nach vielleicht fünfzehn Minuten blieben wir stehen, um wieder zu Atem zu kommen und einen klaren Gedanken zu fassen. Ich fragte, ob irgendwer sagen könne, wo wir uns gerade befinden, und Julien, König der Satellitenbildorientierung, wusste es genau. »Wir sind nahe am Sangan River. Wenn gerade Ebbe ist, können wir das Flussbett raufgehen bis zum Naikoon-Wald - wir sind eigentlich nur fünfzehn Minuten vom UNESCO-Denkmal entfernt.« Also marschierten wir Richtung Bienennest. Warum auch nicht? Es war ein Ziel für Leute, die kein besseres Ziel hatten, wie vorher schon der Flugplatz.
    Eine Menge unheimliches Zeug spukte mir durch den Kopf - in erster Linie Solon-Fabrikanten, die mich lobotomisierten und meinen Körper für die nächsten fünfzig Jahre an ein Beatmungsgerät anschlössen und künstlich ernährten. Dieser Gedanke trieb mich vorwärts. Scheißsolon. Scheißbienen.
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