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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal
Autoren: Jörg Blech
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Düsseldorf. »Ich habe mich immer gesund gefühlt«, sagt er und erzählt, wie verdattert er war, als der Arzt vor einigen Monaten einen dramatisch erhöhten Blutzuckerwert (von 260 , normal wären 90 bis 110  Milligramm pro Deziliter) feststellte. Bei dieser Diagnose wollen etliche Patienten den einfachen Weg gehen – und fragen Professor Martin, ob er ihnen nicht einfach Insulin verschreiben kann. Ganz anders hat Herr Neumann reagiert. »Auf keinen Fall wollte ich mir Insulin spritzen. Ich möchte nicht von fremd zugeführten Stoffen abhängig sein«, sagt er. »Die Diagnose habe ich als Aufforderung genommen: Es muss sich etwas ändern.«
    Der erste Schritt zur Heilung war die Einsicht. Manfred Neumann hat sich keinen Illusionen hingegeben, woher seine Erkrankung rührt. Abgesehen von ein bisschen Tennis hatte er sich in den vergangenen Jahren immer weniger bewegt. In der rechten Schublade seines Direktorenschreibtischs hatte er stets einen Vorrat an Lakritze, Gummibärchen und Pralinen, an dem er sich bediente, wenn mal wieder keine Zeit für die Mittagspause blieb. Und am Abend fing er ohne eine Tafel Schokolade erst gar nicht an, die Klassenarbeiten zu korrigieren. Inzwischen folgt Neumann anderen Ritualen. Die Süßigkeiten hat er stark eingeschränkt; regelmäßig setzt er seinen Körper in Gang, und zwar in einem Fitnessstudio. Wie gut ihm das tut, erfährt Schuldirektor Neumann um sechs Uhr in der Früh. Dann nämlich piekt er sich in eine Fingerspitze und ermittelt seinen Blutzuckerspiegel. Der liegt jetzt zumeist bei 100  – der Mann hat sich, ganz ohne pharmazeutische Unterstützung, selber geheilt.
    Elisabeth Erdmann, die zuckerkranke Krankenschwester, ist vor einem halben Jahr zum ersten Mal in Stephan Martins Sprechstunde gekommen – und hat seither ebenfalls eine ermutigende Wandlung erlebt: Das Gewicht der 1 , 76 Meter großen Frau ist von 122  Kilogramm auf 96  Kilogramm gesunken, weil sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben maßvoll ernährt und hin und wieder sogar laufen geht. »Endlich kann ich mich wieder normal bücken und brauche nicht mehr diese Hosen, die so groß sind wie Zelte«, sagt Frau Erdmann und breitet die Arme aus. Ihr Körper hat von der Gewichtsabnahme profitiert: Ihre bis vor kurzem noch deutlich erhöhten Blutzuckerwerte liegen jetzt wieder im normalen Bereich; die Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck konnte sie absetzen.
    Diese Heilerfolge beruhen letztlich auf einer veränderten Epigenetik, denn der Lebensstil prägt, inwiefern Gene des Zuckerstoffwechsels an- und abgeschaltet werden. Das hat Juleen Zierath vom Karolinska Institut in Schweden in einem eleganten Experiment gezeigt. [154] Die Physiologin hat Muskelzellen von gesunden Menschen und von Patienten mit Typ- 2 -Diabetes mellitus untersucht und die jeweiligen Methylierungsmuster in den Zellkernen miteinander verglichen: Hunderte Abschnitte im Erbgut waren unterschiedlich methyliert. In den veränderten Abschnitten fanden sich interessanterweise auch Gene, die für das normale Funktionieren der Mitochondrien eine Rolle spielen. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle; die Energie aus der Glukose verwandeln sie in das sogenannte ATP , den universellen Brennstoff für biochemische Vorgänge. Tragen Muskelzellen nur wenige oder schadhafte Mitochondrien, dann können sie entsprechend weniger Glukose aus dem Blut verwerten: Wie beim Typ- 2 -Diabetes mellitus werden die betroffenen Zellen womöglich resistent gegen das Hormon Insulin.
    Das Gen
pgc 1 alpha
ist wichtig dafür, dass sich Mitochondrien normal entwickeln können. Die Steuerung gerade dieses Schlüsselgens wird ganz offensichtlich durch den Lebensstil beeinflusst, hat Juleen Zierath herausgefunden: Denn in Muskelzellen der Patienten mit Typ- 2 -Diabetes mellitus (und übrigens auch in Muskelzellen von Menschen mit einer beginnenden Zuckerkrankheit) war dieses Gen verstärkt methyliert und dadurch ausgeschaltet. In der Folge stellten die betreffenden Muskelzellen weniger und auffällig kleine Mitochondrien her.
    In weiteren Experimenten konnte Juleen Zierath den ungesunden Lebensstil – kalorienreiche Ernährung und mangelnde körperliche Bewegung – sogar im Reagenzglas nachstellen. Sie tauchte gesunde Muskelzellen in ein Bad aus Traubenzucker und Fett – prompt wurde das Gen
pgc 1 alpha
methyliert! Schließlich wollte die Physiologin noch zeigen, ob sich dieser ungesunde Vorgang verhindern lässt. Dazu fügte sie dem Bad aus Fett
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