Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
vor. Bernard war groß und stark, mit gewelltem Haar und Brille. Er trug eine abgewetzte Lederjacke mit Reißverschluß und verbeulte Kordhosen, der breite Ledergürtel war mit einer Sammlung metallener Abzeichen kommunistischer Parteitage dekoriert.
    Auf dem Kopf trug er eine eng anliegende Schirmmütze von der Fasson, die stets an das unter einem so unglücklichen Stern angetretene Afrika-Korps erinnern wird. Praktisch, diese Mützen, dachte Max, man konnte mit so einer Mütze schlafen gehen oder sich prügeln, ohne befürchten zu müssen, sie zu verlieren. Max musterte seinen Gefährten. Bernard war unverletzt und noch jung genug auszuharren, ohne daß ihm dabei der Mund trocken wurde und er fürchten müßte, die Nerven zu verlieren. Vielleicht war es das Beste, wenn er ihn

    - 24 -
    allein gehen ließ. Aber würde Bernard es alleine schaffen? Max bezweifelte es. »Sie müssen über Schwerin kommen«, erinnerte Bernard ihn. »Vielleicht hat eine von den motorisierten Streifen sie aufgehalten.«
    Max nickte und befeuchtete sich die Lippen. Der Blutverlust hatte seine Widerstandskraft untergraben. Bei der Vorstellung, daß die russische Militärpolizei seine Informanten gestellt haben mochte, drehte sich ihm der Magen um. Ihre Papiere waren gut genug für Routinekontrollen bei
    Taschenlampenschein – aber nicht besser. Das waren gefälschte Papiere selten. Er wußte, daß Bernard sein Nicken nicht sehen konnte; der kleine Raum war dunkel, nur ein schwacher Schimmer umgab die stinkende Petroleumlampe, deren Docht so weit herunter wie möglich gedreht worden war, und vom Ofen fiel nur ein rosiger Glanz auf ihre Stiefelspitzen, aber Qui tacet consentire videtur. wer schweigt, scheint zuzustimmen. Max hatte, wie schon mancher brave New Yorker Polizist vor ihm, eine Zeitlang strebsam an der Abendschule Jura studiert. Noch jetzt waren ihm ein paar wesentliche Grundsätze erinnerlich. Nützlicher für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage war ihm freilich das Wissen, daß jemand sich allerhand vorgenommen hatte, der versuchte, hundertundfünfzig Kilometer über das in hellem Mondschein liegende sächsische Land zu reisen, während eine Großfahndung nach ihm lief und dazu ein Haftbefehl aus Moskau vorlag, der jeden schießwütigen Polizisten oder Soldaten freisprechen würde, der einen Fremden abknallte.
    Bernard stieß mit dem schweren Stiefel gegen den eisernen Kanonenofen und erschrak, als dessen Tür aufflog und rotglühende Asche herausfiel. Für einen Augenblick, während das Feuer in der Zugluft aufflammte, füllte goldenes Licht den Raum. Er konnte die in die Ritzen um den Türrahmen gestopften vergilbten Zeitungen und eine abgestoßene emaillierte Waschschüssel und die Rucksäcke sehen, die

    - 25 -
    fertiggepackt an der Tür standen, für den Fall, daß sie hier eilig abhauen mußten. Max, der weiß wie ein Bettlaken war und aussah wie … nun ja, wie eben jeder alte Mann aussehen würde, der so viel Blut verloren hatte wie er und eigentlich auf einer Intensivstation liegen sollte, sich aber mitten im Winter quer durch Norddeutschland schleppte. Dann erlosch die Glut, und es wurde wieder dunkel im Raum. »Also zwei Stunden, ja?« fragte Bernard.
    »Ich werde mich deswegen nicht mit dir streiten.« Max kaute langsam den letzten Bissen Roggenbrot. Es schmeckte köstlich, aber er mußte es gut kauen und bröckchenweise hinunterschlucken. In Mecklenburg baut man den besten Roggen der Welt an und backt daraus das beste Brot. Aber dieser Bissen war der letzte, und sie hatten beide Hunger.
    »Na, wenn das nicht mal ‘ne Abwechslung ist«, sagte Bernard kameradschaftlich. Sie stritten sich selten ernstlich.
    Max legte Wert darauf, dem jüngeren Mann das Bewußtsein zu vermitteln, daß bei allen wichtigen Entscheidungen auch er ein Wort mitzureden hätte. Besonders jetzt.
    »Ich werde mir doch nicht den Mann zum Feind machen, der demnächst Leiter der Deutschland-Abteilung wird«, sagte Max leise und zwirbelte ein Ende seines Schnurrbarts. Er versuchte, nicht an seine Schmerzen zu denken.
    »Glaubst du das wirklich?«
    »Also bitte, zier dich doch nicht. Wer käme denn sonst in Frage?«
    »Dicky Cruyer.«
    Max sagte: »Ach so. Du bist wirklich nicht gut zu sprechen auf Dicky, was?« Bernard biß auf solche Köder immer an, und Max machte es Spaß, ihn zu necken. »Er könnte es machen.«
    »Also, er hat nicht den Schatten einer Aussicht. Er ist zu jung und unerfahren. Du bist an der Reihe, und nach diesem Posten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher