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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt
Autoren: Len Deighton
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Anblick war ein Schock. Bernard stieß unwillkürlich die Luft aus, und Max sah den Ausdruck des Schreckens auf seinem Gesicht.
    »Nicht so übel«, sagte Bernard und versuchte, seine wahren Gefühle zu verbergen.
    »Ich hab’ schon Schlimmeres gesehen«, sagte Busby und versuchte, sich ungerührt zu geben. Es war eine große Wunde, tief und entzündet und eiternd. Bernard hatte sie mit einer Nähnadel und Angelschnur zusammengenäht, die zur Überlebensausrüstung gehört hatte, aber einige der Stiche hatten das weiche Fleisch eingerissen. Die Haut des Wundrands war in allen Regenbogenfarben verfärbt und so empfindlich, daß sie schon weh tun mußte, wenn man sie nur ansah. Bernard drückte die Ränder fest zusammen, damit sie nicht gleich wieder aufbrächen. Die Auflage – ein altes Taschentuch – war schmutzig geworden. Die Seite, die auf der Wunde gelegen hatte, war dunkelbraun und ganz mit Blut getränkt. Über den ganzen Arm zogen sich Blutkrusten. »Es hätte auch meine Waffenhand treffen können.« Max beugte den Kopf, bis er im Licht der Lampe sein bleiches Gesicht im Spiegel sehen konnte. Er verstand was von Wunden.
    Er wußte, wie nach starkem Blutverlust das Herz klopfte, im Bemühen, das Hirn trotzdem mit Glukose und Sauerstoff zu versorgen. Sein Gesicht war bleich geworden, weil die

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    Blutgefäße sich verengt hatten, um dem Herz seine Aufgabe zu erleichtern. Und das Herz pumpte immer heftiger, je mehr Plasma verlorenging und je dicker das Blut wurde. Max versuchte, sich selbst den Puls zu fühlen. Es gelang ihm nicht, aber er wußte, was er feststellen würde: unregelmäßiger Puls und niedrige Körpertemperatur. Das waren die einzigen Anzeichen. Schlechte Zeichen.
    »Leg irgendwas aufs Feuer, und binde mir dann den Arm mit einem Streifen vom Handtuch fest ab. Bevor wir gehen, werde ich Papier drumwickeln. Wir wollen doch keine Spur von Blutflecken legen.« Er zwang sich ein Lächeln ab. »Geben wir ihnen noch eine Stunde.« Max Busby hatte Angst. Sie waren in einer Berghütte, es war Winter, und er war nicht mehr jung. In New York war er einmal Polizist gewesen. Als Leutnant der US-Army war er 1944 nach Europa gekommen und seitdem nur noch selten für kurze Zeit auf die andere Seite des Atlantischen Ozeans zurückgekehrt. Einmal in dem vergeblichen Bemühen, sich mit seiner geschiedenen Frau zu versöhnen, nach Chicago, und noch ein paarmal nach Atlantic City, wo seine Mutter wohnte.
    Nachdem Bernard den Spiegel wieder an seinen Platz gestellt und was aufs Feuer gelegt hatte, stand Max auf, und Bernard half ihm in seinen Mantel. Dann sah er zu, wie Max sich vorsichtig wieder setzte. Max war schwer verwundet.
    Bernard fragte sich, ob sie’s beide bis zur Grenze schaffen würden. Max las seine Gedanken und lächelte. Weder seine Frau noch seine Mutter hätten Max erkannt, so, wie er da saß, in diesem schmutzigen Mantel, mit den verbeulten Bluejeans und dem zerrissenen Hemd darunter. Dabei hielt er den speckigen Filzhut auf seinen Knien mit einer geradezu verrückten Förmlichkeit. Seinen Papieren zufolge war er Eisenbahnarbeiter, doch seine Papiere waren mit einer Menge anderer Sachen, die er brauchte, auf dem Bahnhof, wo auch ein sowjetisches Verhaftungskommando auf ihn wartete.

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    Max Busby war klein und untersetzt, ohne fett zu sein. Sein spärliches Haar war schwarz, und das Gesicht tief gefurcht. Die Augen waren rot vor Müdigkeit. Er hatte dicke Augenbrauen und einen großen, struppigen schwarzen Schnurrbart, der schief saß, weil er immer nur an einem Ende herumzupfte.
    Älter, weiser, verwundet und krank, aber trotz alledem und ungeachtet des anderen Aufzugs, den er hier in ganz anderer Umgebung trug, fühlte sich Max Busby doch nicht sehr viel anders als der unerfahrene junge Polizist, der einst in den dunklen und gefährlichen Straßen und Gassen von Manhattan Streifendienst getan hatte. Damals wie heute war er auf sich selbst gestellt. Nicht alle Bösewichter trugen schwarze Hüte.
    Manche löffelten ihren Beluga-Kaviar mit dem
    Polizeipräsidenten. Hier war es genauso. Weder schwarz noch weiß, nur Grautöne. Max Busby verachtete den Kommunismus
    – oder »Sozialismus«, wie die Sache von denen, die sie praktizieren, vorzugsweise genannt wird – und alles, was dazugehörte, mit einem Eifer, der selbst bei denen, die auf höherer Ebene gegen diese Sache kämpften, ungewöhnlich war; aber er war kein bornierter kalter Krieger.
    »Zwei Stunden«, schlug Bernard Samson
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