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Geliehene Träume ROTE LATERNE - Band 5 (Rote Laterne Roman) (German Edition)

Geliehene Träume ROTE LATERNE - Band 5 (Rote Laterne Roman) (German Edition)

Titel: Geliehene Träume ROTE LATERNE - Band 5 (Rote Laterne Roman) (German Edition)
Autoren: Lisa Thomsen
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schaute interessiert auf den Vorhang. Dahinter musste es ziemlich geschäftig zugehen, denn der rote Stoff blähte sich.
    »Kennen wir uns nicht?« sagte der Mann plötzlich.
    »Wie bitte?«, fragte Lilly abwesend.
    »Ich meine, haben wir uns noch nicht ...?«
    »O Männchen«, sagte Lilly, »ich habe schon mit vielen. Ich habe mit so
    vielen, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann.«
    »Heißt das, dass Sie eine ...?«
    »Ja, ich bin eine«, entgegnete Lilly ziemlich ungnädig. »Aber heute habe ich meinen freien Tag. Ich möchte meine Ruhe haben. Morgen habe ich Obsttag, und nachmittags gehe ich zum Schwimmen. Übermorgen bin ich wieder zu sprechen. Hausnummer 86 in der Schwanengasse.«
    »Oh ...«, sagte er und begann an seiner Krawatte zu zupfen. »Ich dachte nur - ich meine ...«
    »Also, wenn Sie mich einladen wollen, dann sage ich natürlich nicht Nein. Ich trinke Schampus und ich heiße Lilly.«
    So kam es, dass er ihr tatsächlich eine Flasche Champagner spendierte. Lilly saß so richtig selig in dem kuscheligen Sessel und wartete darauf, dass die Show begann. Doch bis zu Ronnys Auftritt musste sie sich eine Zeitlang gedulden. Zunächst kam eine reichlich kräftig gebaute Schwarze, die mit plärrender Stimme einen Song zum besten gab. Daraufhin lieferte ein junges Pärchen, das Lilly nicht kannte, eine erotische Parodie.
    Und dann kam Ronny - in einem Lederanzug, langen schwarzen Stiefeln und breitkrempigem Hut. Begeistert klatschten die Leute Beifall.
    Lilly fand, dass er sich sehr geschickt auszog. Als er schließlich nur noch mit einem Slip bekleidet auf der Bühne stand und unter rhythmischen Zuckungen auf den Vorhang zuging, brandete Beifall auf.
    Nun zeigte er das, was er als erotisches Symbol bezeichnete, aber im Stillen musste Lilly Kautschuk-Johnny recht geben: Es sah tatsächlich aus, als würde Ronny wie ein Affe den Vorhang hinaufklettern.
    Die Leiste, an der der Vorhang befestigt war, begann bedenklich zu zittern. Ronny wand sich in wilden Zuckungen an dem dunklen Samt.
    Und dann geschah es. Es begann mit einem leisen Knistern, das man wegen der lauten Musik noch nicht hören konnte. Aber dann begann es zu krachen. Die Rückwand, auf der kitschig der Montmartre nachgezeichnet war, begann zu kippen. Dann erklang das Geräusch von reißendem Stoff, und mit einem Mal war Ronny vom Vorhang begraben. Er zuckte und wackelte weiter, tänzelte nach vorn und landete schließlich mitten im Publikum.
    Die Leute jubelten und tobten. Nur Kautschuk-Johnny raste hinter der Theke hervor.
    »Du Idiot!«, schrie er. »Du blöder Idiot! Hast mir alles ruiniert! Von mir aus kannst du ab morgen im Hauptbahnhof tanzen! Raus mit dir! Verschwinde! Das Zeug stelle ich dir in Rechnung!«
    Der verunglückte Striptease-Tänzer hatte sich inzwischen aus dem zerrissenen Vorhang befreit und stand nun ganz belämmert da.
    »Ausziehen!«, schrien ein paar Frauen. »Er soll sich ausziehen! Wir wollen etwas sehen!«
    Aber Ronny flüchtete.
    Lilly stand auf und folgte ihm. Das, was man als Garderobe bezeichnete, lag im Anbau. Ronnys Garderobe war ein Kämmerchen, das innen nicht einmal verputzt war. Lilly öffnete die quietschende Eisentür und schob sich in die kleine Kammer hinein.
    »Ach, Ronny, es tut mir ja so leid!«
    »Mist!«, sagte er. »Verfluchter Mist! Er hat ja auch so 'ne alte Schrottbude. Hier geht doch nichts. Da hält doch nichts! Ich war doch klasse! Du hast doch gesehen, dass ich klasse war, oder nicht?«
    Sie sah ihm die Enttäuschung an.
    »Menschenskind«, meinte sie, »jetzt fang bloß nicht zu heulen an. Du wirst irgendwo wieder 'nen Job finden. Ja, ich fand, du warst gut, Ronny. Aber die Kletterei mit dem Vorhang hätte ja nicht sein müssen.«
    »Es ist meine große Nummer«, sagte er und klopfte sich auf die nackte Brust. »Habt ihr denn überhaupt kein Kunstverständnis? «
    »Na, ich weiß nicht ...«, meinte Lilly zweifelnd.
    »Gefeuert hat er mich, dieser Banause, dieser Idiot!« Er stand auf und begann den Raum zu durchrunden.
    In diesem Augenblick wurde die Eisentür wieder geöffnet. Kautschuk-Johnny erschien.
    »Bist du immer noch hier?«, fragte er. »Nimm deine alte Nutte und geh! Hast du mich verstanden?«
    »Hör zu, Glatzköpfchen«, sagte Lilly, »Nutte ist recht und schön, aber alt bin ich noch lange nicht. Ich hab' noch alle Zähne, und das Übrige funktioniert auch, im Gegensatz zu dir, wenn ich mich nicht täusche.«
    »Raus!«, schrie der Barbesitzer mit überkippender
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