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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Autoren: Kristin Ganzwohl
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Söhnen zwischen vielen Blumen-, Kätzchen- und Landschaftsbildern. Wieder läuft mir ein Schauder über den Rücken bei der Vorstellung, jahrelang keinen Spaziergang in freier Natur machen zu können, keinen Baum, keinen Strand, keine Wiese zu Gesicht zu bekommen. Natürlich weiß das jeder, schließlich ist das hier ein Knast. Trotzdem fühlt es sich noch mal anders an, wenn man wirklich in einer solchen winzigen Zelle steht und die schlechte Luft einatmet. Erst dann wird einem bewusst, was das Wort »Freiheitsstrafe« bedeutet.
    Es ist wie eine Befreiung, nach dem Mittagessen Danuta auf die Sanddornplantage zu begleiten, die direkt hinter dem Gefängnis liegt. Danuta ist mit achtundvier zig Jahren deutlich älter als Jana. Auf die Frage, was sie verbrochen hat, antwortet sie knapp: »Räuberische Erpressung und Scheckbetrug. Zusammen mit meinem Ex.«
    Mehr will sie dazu nicht sagen.
    Danuta trägt eine blaue Latzhose und ein pinkfarbenes Träger-Top, das ihre kräftigen Oberarme frei lässt, die nach den ersten Erntetagen ziemlich sonnenverbrannt aussehen.
    »Man braucht schon ein bisschen Kraft und Ausdauer, wenn man hier arbeiten will«, sagt sie, als sie uns zeigt, wie man mit einer großen Schere die Äste mit den reifen Sanddornbeeren einzeln abschneidet. »Für Jana, das zarte Mäuschen, wäre das nix.« Sie wirft die Äste in eine Schubkarre, die sie dann zusammen mit einer Kollegin hochhievt und in einen Container leert. »An den Dornen kann man sich richtig wehtun. Abends ist man auch echt kaputt. Aber es ist schön, in die Sonne rauszukommen, das kann ich dir sagen. Da blühe ich richtig auf.«
    Wenn sie wieder draußen ist, will sich Danuta bei einer Gärtnerei bewerben. »Meine Chancen sind auf jeden Fall größer, dass sie mich nehmen, wenn sie hören, wo ich hier im Knast gearbeitet habe.«
    Abends begleiten wir Jana und Danuta noch zum Sport. Er findet in einer großen Turnhalle statt, die mich an mein altes Gymnasium erinnert. Frauen und Mädchen jeden Alters stehen in langen Reihen und folgen den Anweisungen der jungen Trainerin, einer Sportlehrerin von draußen, die hier zwei Mal im Monat Kurse anbietet. Man sieht den Gefangenen den Bewegungsmangel an. Keine von ihnen wirkt besonders sportlich. Viele tun sich mit den einfachsten Übungen schwer, andere sind bereits nach fünf Minuten schweißüberströmt. Doch alle sind mit großem Eifer dabei, und es wirkt für einige Minuten wie eine ganz normale Sportstunde – bis die Abendsonne die langen Schatten der Gitterstäbe vor den Fenstern über den Boden und auf die trainierenden Frauen wirft.
    Olaf und ich fahren mit dem Taxi zum Hotel. Morgen früh werden wir wiederkommen, schon morgens um halb sechs, um beim Wecken, dem Frühstück und dem Arbeitsbeginn dabei zu sein. Olaf will keine Gelegenheit für ein tolles Bild verpassen.
    Vechta ist eine ziemlich unspektakuläre deutsche Mit telstadt, wie ich bei der Taxifahrt feststelle, trotzdem kommt man sich nach acht Stunden im Knast vor wie in einer anderen Welt. Zwei Kinder schlecken Eis mit Schokostreuseln vor einer Eisdiele; eine hübsche, junge Frau nimmt ein herabgesetztes Sommerkleid von einem Kleiderständer vor einem Laden und hält es sich probeweise an den Körper; ein Labrador springt in einem kleinen Park einem Ball hinterher; ein Pärchen knutscht an einer Bushaltestelle; eine Mutter schiebt einen Kinderwagen, an dessen Seite ein roter Sparkassen-Luftballon festgebun den ist. Ich denke an Jana und ihre Tochter und an all die anderen Frauen, die zum Teil seit Jahren von diesem ganz normalen Alltag ausgeschlossen sind. Ja, ich weiß, sie alle haben Verbrechen begangen, sie alle sind »keine Klosterschülerinnen«. Aber ich kann mich nicht dagegen wehren – ich habe Mitleid. Das Frauengefängnis in Vechta ist kein dunkler, feuchter Kerker, die Zustände sind alles andere als katastrophal. Trotzdem habe ich den Tag dort als schlimm und belastend empfunden. Die Enge, die schlechte Luft, die niedergedrückte Stimmung, die grauen Gesichter, die allgegenwärtigen Drogenprobleme, die Gitter überall, vor allem aber: das Gefühl, vollkommen fremdbestimmt und in einem Korsett von unzähligen Regeln eingezwängt zu sein. Nie, nie, nie, so überlege ich mir, werde ich irgendetwas anstellen, das mich ins Gefängnis bringen könnte. Keine Woche würde ich es dort aushalten.
    Während ich aus dem Taxifenster auf das spätsommerliche Vechta starre, fällt mir Claus’ Geschichte über eine Fahrt durch
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