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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Autoren: Kristin Ganzwohl
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konservativen Süden.
    Jana streckt uns ihre Hand entgegen, wir begrüßen uns. Sie hat eine rosige Gesichtsfarbe, weiße Zähne ohne Lücken und dezent rot gefärbtes Haar, das an den Ansätzen dunkel nachwächst – das ist nicht etwa ungepflegt, sondern der gerade total angesagte Ombre-Look, wie ich dank unserer Beauty-Redakteurinnen weiß. Ihre Fingernägel sind hellrosa lackiert, ihre Augenbrauen sorgfältig gezupft. Sie achtet auf ihr Aussehen, selbst hier im Gefängnis. Vielleicht hat sie sich aber auch extra für uns hübsch gemacht.
    Ich frage sie, ob ich ihr bei der Arbeit zusehen darf und ob wir uns dabei ein bisschen unterhalten können, während Olaf fotografiert. Sie nickt und setzt sich wieder an ihre Nähmaschine. Ich habe mir die ganze Zeit umsonst Sorgen gemacht. Jana ist mir auf Anhieb sympathisch und ich ihr offenbar auch. Nach ein paar Minuten Small Talk erzählt sie mir, warum sie im Gefängnis ist. Sie hat für ihren Exfreund harte Drogen über die Grenze zwischen Holland und Deutschland geschmuggelt – und das mehrmals. Als sie zum ersten Mal erwischt wurde, kam sie mit einer Bewährungsstrafe davon, auch beim zweiten Mal drückte der Richter beide Augen zu, denn Jana hatte damals gerade ein Baby zur Welt gebracht. Er schickte sie nicht ins Gefängnis, doch beim dritten Mal gab es kein Pardon. Fünf Jahre hat man ihr aufgebrummt. In sechs Monaten wird sie entlassen, wenn alles gut geht. Dann war sie viereinhalb Jahre hinter Gittern, Claus saß nur zweieinhalb Jahre länger – für Mord. Natürlich bin ich froh darüber, dass er nicht zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden ist, denn dann hätte ich ihn wahr scheinlich nie kennengelernt. Trotzdem fällt es mir schwer, Verhältnismäßigkeit und so etwas wie Gerechtigkeit in den beiden Strafen zu erkennen: Eine junge Mutter schmuggelt aus falsch verstandener Liebe zu ihrem Freund harte Drogen, wird zu fünf Jahren verdonnert und kommt nach viereinhalb wieder raus; ein hoffnungsvoller Unternehmensberater ermordet einen Menschen, wird zu elf Jahren verurteilt und nach sieben entlassen, die letzte Zeit dieser sieben Jahre verbringt er im offenen Vollzug. Okay, Jana ist Wiederholungstäterin, und sie bewegte sich in einem kriminellen Milieu, aber sie hat niemanden umgebracht, niemandem das Leben gestohlen. Ist das der viel diskutierte Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit?
    Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass solche Gedanken in meinem Kopf herumspuken. Müsste ich nicht vorbehaltlos hinter Claus stehen und einfach nur froh und glücklich darüber sein, dass er nicht mehr im Knast sitzt? Wieso denke ich immer mal wieder über die Verhältnismäßigkeit seiner Strafe nach? Ich schiebe den Gedanken beiseite – im Moment muss ich mich auf meinen Job konzentrieren.
    Besonders schlimm finde ich, dass Jana ins Gefängnis musste, als ihr Baby gerade mal ein Jahr alt war. Ihre Tochter wächst bei der Großmutter auf; Jana sieht das Mädchen nur alle zwei Wochen für wenige Stunden. Wenn sie in einem halben Jahr nach Hause darf, wird sich das Kind erst langsam an sie gewöhnen müssen; es kennt seine Mutter ja nur von den kurzen Besuchen im Gefängnis.
    »Ich habe nicht miterlebt, wie sie ihre ersten Schritte gemacht hat, und ihr erstes Wort, ›Mama‹, hat sie zu meiner Mutter gesagt, nicht zu mir. Das ist – hart.«
    Jana laufen Tränen über die Wangen, und auch ich habe feuchte Augen, ich denke an Leon. Ich krame Taschentücher aus meiner Handtasche und reiche ihr eines.
    »Ich soll dir zwar nichts geben, nicht mal einen Kaugummi, aber ein Papiertaschentuch wird ja wohl noch erlaubt sein.«
    Wir schnäuzen uns im Duett und lachen.
    Olaf ist komplett in seine Arbeit versunken und macht ein Foto nach dem anderen. Wie immer wirkt er dabei wie in Trance. Die Frauen lassen nach und nach ihre Arbeit liegen und kommen, um zuzusehen.
    »Fotografier mich auch mal«, sagt plötzlich eine und stupst ihn.
    »Ja, mich auch!«
    »Ich will auch in die Zeitung!«
    »Ich auch, aber mach, dass ich gut aussehe!«
    »Wie soll er das denn schaffen, du Schnepfe? Der kann doch nicht hexen!«
    »Gleich geb ich dir Schnepfe, du, du, du – Opfer!«
    »Hey, zeig mal, wie Jana aussieht!«
    »Boah, cool geworden.«
    »Mach so eins auch von mir!«
    Unterschätze nie die weibliche Eitelkeit, denke ich bei mir.
    Olaf hat alle Hände voll zu tun, um allen Wünschen gerecht zu werden.
    Jana lächelt mich an.
    »Es ist eine nette Abwechslung, dass ihr hier
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