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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
Autoren: Svetlana Sekulic
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wittert und mit ihrem haarsträubenden Buckel ihren
Gegner einzuschüchtern versucht, um sich anschließend vor
der Tischkante sinkend wieder einzurollen. Wie alt mochte Mutter
sein, äußerlich alt wie ein ausgedientes Mütterlein,
nicht wirklich, nur anscheinend und Vater´s schwarze Haare
glänzten ölig unter dem grellen Küchenlicht, das nicht
genau die Mitte des Tisches traf. Nicola saß seinem Vater
gegenüber, um seinen kleineren Bruder war ein Lätzchen
gebunden und es stand ein Teller mit dampfenden Kartoffelbrei vor
ihm. Vater´s grau blaue Jackenknöpfe blickten nervös
umher und ruhten letztendlich auf Mutter, die seinen Blick spüren
musste, ihn aber nicht erwidern konnte und außerstande war sich
aufzurichten und gerade am Tisch Haltung einzunehmen. Mittellange,
helle Haare umrahmten ihr ovales Gesicht und ließen sie unter
dem grellen Küchenlicht geisterhaft erscheinen. Ein Gespenst
inmitten der anderen und das vor Mitternacht oder was hat die Uhr
geschlagen? Vater fing an, das Kotelette vor ihm zu zerschneiden, aus
dem ein rot schwarzer Fluss lief. Er liebte das Fleisch blutig zu
essen. Vampire lieben ebenso Blut und nur
aus diesem Grund liebte Vater seine Familie abgöttisch. Mutter
hingegen kreidebleich und blutarm nach vielen Jahren des Lebens und
des Unlebens. Vater schien das Kotelette zu
schmecken. Mutter war Vegetarierin. Mutter wurde zur Vegetarierin als sie als Kellnerin arbeitete und im
Hochsommer ein blutiges Rumpsteak garniert mit Kräuterbutter
servieren musste. Das hatte sie Nicola immer erzählt, wenn er
abends nicht einschlafen konnte. Vielleicht lag es auch an dem
Alkoholgeruch, der sich in der Wohnung festgesetzt hatte oder es lag
an der Geschichte selbst, die immer wieder von seiner Mutter erzählt
wurde, aber Nicola hatte große Schwierigkeiten danach einen
ruhigen Schlaf zu finden in der dunklen, kalten Nacht. Mutter war
sehr schlank und der Gast, der das bestellte, war sehr fett. Das wäre
auch nicht weiterhin tragisch und auch nicht das eigentliche Problem,
aber sie servierte dieses Gericht, als es im Restaurant über
dreißig Grad heiß war und draußen noch viel mehr,
und dieser Gast gezwängt in Anzug und Krawatte keine Rücksicht
auf Mutter nahm, die beobachten musste, wie seine Schweißperlen
auf der Stirn und unter den Achseln
verdächtig zunahmen. Diese seine
Schweißperlen auf das Steak hinab perlten, er mit der Gabel es
noch ordentlich auf dem Steak verteilte, das blutige Steak
zerschnitt, mit einer abartigen Grimasse im Gesicht, umrahmt von
triefender Nässe und ungeachtet dessen und ohne Rücksicht
auf Mutter, die wie versteinert daneben stand und ihren Blick nicht
von ihm lassen konnte, er aber das rohe Fleisch verschlang, anschließend sich zurücklehnte,
ungehemmt rülpste, dass seinen immensen Bauchumfang nicht im
geringsten zu schmälern vermochte und dabei hämisch Mutter
angrinste und um ein weiteres totes, rohes Tier bat. Mutter gab die
Bestellung in der Küche ab und übergab sich auf der
Toilette. Seitdem rührte Mutter kein Fleisch mehr an. Ob Fleisch
oder Wein, es stank in der Wohnung. Es
roch am Tisch, wie immer irgendwie nach Erbrochenen. Vater blickte
zur Mutter und schluckte sein Fleisch herunter. Mirko zappelte
unentwegt im Kinderstuhl und Nicola´s Blick schweifte zum Flur
und er sah einen Koffer und eine große, braune Tasche stehen.
Er atmete erleichtert auf. Sein Vater musste gepackt haben. Nach
vielen Jahren endlich bereit, alles einzupacken, um in einem anderen
zuhause, unter anderen Toten wieder alles
auszupacken. So bekamen Mutter, Nicola und Mirko noch eine Chance vom
Vampir zugeteilt. Endlich kein Geschrei
mehr des Nachts und auch am Tage, kein Gebrüll und keine
Schlägerei zwischen Vampir und bleicher Mutter. Im Moment gab es
noch ein friedliches Abschiedsessen oder auch nur eine
Henkersmahlzeit. Hatte Mutter eigentlich begriffen, dass der Vampir
gedenkt, sie endlich leben zu lassen? Sie hatte sich vom Stuhl
erhoben und ging mit trägen Schritten zum Flur und blieb vor dem
Koffer und der braunen Tasche stehen. Nicola schaute zu ihr, abwartend und in einer sämtlich
denkbaren Erwartung. Vater hatte aufgehört am Kotelette zu nagen
und Mirko hörte plötzlich auf zu zappeln. Nicola war auf
alles gefasst, konnte aber nicht so recht die sekundenlange Stille
einordnen. Mutter drehte sich mit hoch erhobenem Kopf zu den anderen
am Tisch, die Mundwinkel begannen sich zu einem Grinsen zu verziehen
und der Oberkörper begann zu schwanken und
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