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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut
Autoren: Stacia Kane
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wieder; sie glaubten, er schliefe, bis sie dann die Hand nach etwas ausstreckten - einem Zierdolch, einem Knochenwürfelset, einer Rattenschädelrassel - und seine Pranke zuschnappte, ehe sie die Bewegung auch nur zu Ende führen konnten.
    Edsel war der einzige Mensch, den Chess vielleicht als Freund ansehen konnte.
    »Chess«, sagte er mit rauchiger Stimme. »Mach dich mal lieber vom Acker. Nach allem, was man so hört, hat Bump dich aufm Kieker.«
    »Ist er hier?« Sie sah sich möglichst beiläufig um.
    »Hab ihn nicht gesehn. Aber Terrible, den hab ich gesehn. Und der passt auf. Könnte sein, dass er mich beobachtet, weil er sich denkt, dass du mich besuchen kommst. Brauchst du was?«
    »Brauchen wir nicht alle immer irgendwas?«, erwiderte Chess und fuhr mit den Fingerspitzen über einige runenverzierte Tigerkrallen. Ihr kribbelten die Kräfte den Arm hinauf, und sie lächelte. Das war auch so ein Rausch, und sogar einer, den die Kirche billigte. »Ich könnte eine neue Hand gebrauchen. Hast du welche da?«
    Er nickte und bückte sich, und sein goldblondes Haar fiel über die in Seide gekleideten Schultern und verbarg sein Gesicht. »Bist du an einem neuen Fall dran?«
    »Noch nicht, aber hoffentlich bald.«
    Edsel zeigte ihr eine Hand mit bleicher, runzliger Haut und knotigen Fingern, die etwas von einer toten Albinospinne hatte. Chess berührte mit der Fingerspitze eine Fingerspitze, und die runzlige Hand zuckte.
    »Die tut's. Wie viel?«
    »Zahl ein andermal. Wenn Terrible sieht, dass du flüssig bist, macht ihn das nicht froh.«
    »Macht den denn überhaupt was froh?«
    Edsel zuckte mit den Achseln. »Wenn er wem wehtun kann.«
    Sie plauderten noch ein wenig, aber Chess fühlte sich in dem Marktgetümmel plötzlich nicht mehr so sicher. So viele Menschen, und die meisten hatten Augen im Kopf.
    Aber egal: Sie musste ohnehin mit Bump sprechen, ehe sie wieder ging; sie hatte gar keine andere Wahl. Er konnte sie aufstöbern lassen, oder sie konnte von sich aus durch die berüchtigte schwarze Tür zu ihm gehen. Und Letzteres zog sie ganz entschieden vor.
    Sie steckte die gekaufte Hand in ihre Tasche - wobei deren Finger nach ihr zu greifen versuchten -, dankte Edsel und ging weiter. Wenn Terrible sie tatsächlich beobachtete, war es nicht ratsam, weitere Einkäufe zu tätigen, da hatte Edsel Recht. Es würde Terrible nur unnötig reizen, wenn sie ihr bisschen Geld vor seinen Augen auf den Kopf haute. Daher steuerte sie lieber gleich Bumps untere Geschäftsstelle an und hoffte, die Überraschung werde sich günstig für sie auswirken.
    Bloß dumm, dass man einen ständigen Beobachter schlecht überraschen kann. Terrible schnappte sie gleich hinter der nächsten Ecke. Er verzog die Lippen. Bei einem normalen Menschen hätte ein Lächeln daraus werden können - bloß dass er eben kein normaler Mensch war. In seinem vernarbten, bartschattigen Gesicht sah das aus, als würde er gleich zubeißen.
    »Bump will dich sehn, Chess«, sagte er und bohrte die Finger in ihren Oberarm. »Er sucht dich schon ’ne ganze Weile.«
    »Wir haben uns doch vor zwei Tagen erst gesehn.«
    »Er will dich sprechen. Jetzt sofort. Los, komm mit.«
    »Ich wollte eh grad zu ihm.«
    »Ja? Na, das trifft sich doch wunderbar.«
    Sie versuchte erst gar nicht, sich aus seiner Umklammerung zu winden. Er führte sie nicht zu der schwarzen Tür, sondern um die Ecke zu Bumps Wohnung. Ein Finger der Furcht fuhr ihr unter die Haut und durchstieß den wohligen Nebel in ihrem Hirn. Sie war noch nie bei ihm zu Hause gewesen.
    Terrible klopfte an; bei dem Klopfrhythmus fiel Chess ein Ramones-Song ein. Sie sah sich um. Ein paar Leute erwiderten ihren Blick und guckten schnell wieder weg, als könnte Chess mit ihren haselnussbraunen Augen das Pech, das sie gerade hatte, an sie weitergeben. Schön wär’s. Es gab da nämlich allerhand, was sie auf diese Weise gerne losgeworden wäre.
    »Wie kommen die fetten Koteletten denn so bei den Mädels an, Terrible? Hast du dir damit schon ’ne feste Freundin an Land gezogen?« Warum nicht die Hand in den Käfig stecken? Er würde ihr schon nichts tun, ohne dass Bump es befahl, und wenn Bump es bereits befohlen hätte, würde sie jetzt nicht hier stehen. Dann läge sie grün und blau geschlagen in der nach Pisse stinkenden Gasse hinterm Markt. Manchmal hatte ihr Job auch Vorteile: Sich an einer Mitarbeiterin der Kirche zu vergreifen konnte Scherereien nach sich ziehen.
    »Das geht dich nichts an.«
    »Dann stimmt es
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