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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Es gab keinen Bedarf für einen Psychiater in Vollzeit, und das passte ihm gut. Er hatte schon genug mit sich selbst zu tun und wollte sich nicht auch noch den ganzen Tag mit den psychischen Problemen anderer beschäftigen. Dagný trat unruhig von einem Bein aufs andere, weil er ihre Frage noch nicht beantwortet hatte, und er sagte schnell: »Ich denke, es ist eine Mischung aus mehreren Dingen: diese schreckliche Situation, bei der die meisten ein mulmiges Gefühl hätten, und der Wunsch, den Täter zu finden. Außerdem steht ihr unter Druck, die Tatortuntersuchung abzuschließen, und du machst dir Sorgen, dass du etwas Wichtiges übersehen könntest. Das Unterbewusstsein beschäftigt sich gleichzeitig mit all diesen Dingen, und das Gefühl, das du beschreibst, ist das Ergebnis davon.« Er hielt sich zurück, obwohl er durchaus hätte weiterreden können.
    »Verstehe.« Sie wirkte nicht sehr überzeugt, fügte aber nichts mehr hinzu, denn Veigar steckte den Kopf durch die Tür. »Dagný, wir müssen uns beeilen. Gunni und Stefán sind da und machen den Rest, wir werden woanders gebraucht.« Er warf ihr einen Blick zu, der signalisierte, dass etwas Schlimmeres passiert war als die Schändung eines kindlichen Zufluchtsorts.
    Dagný verabschiedete sich hastig. Veigar und sie hatten es so eilig, dass Freyr ihnen nur noch laut »tschüs« hinterherrufen konnte, bevor die Haustür zuknallte.
    Dann stand er alleine in dem großen Vorraum, von einer Schar von Kindern und Kindergärtnerinnen umzingelt, die die Kleinen mit geschickten Handgriffen aus ihren Winteroveralls pellten. Eine bugsierte vier Kinder in den Flur und sagte ihnen, dass sie jetzt im kleinen Gymnastikraum essen würden. Freyr zwinkerte ein paar Kindern zu und verabschiedete sich von den Mitarbeiterinnen, die seinen Gruß erwiderten, ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen. Als Freyr die Klinke der Haustür nach unten drückte, zog jemand fest an seinem Hosenbein. Lächelnd senkte er den Kopf. Es war der Junge, der ihn von draußen angestarrt hatte. Er trug immer noch den grünen Winteroverall, schaute Freyr schweigend an und hielt sein Hosenbein fest. Freyr war die Nähe des Kindes aus irgendeinem Grund unangenehm, obwohl er von seinen Patienten einiges gewöhnt war. Er beugte sich zu ihm hinunter und fragte: »Hast du eben die Polizisten gesehen? Ich helfe ihnen, den bösen Mann zu fangen.« Der Junge starrte ihn weiter an, ohne etwas zu sagen. »Die Polizei kriegt jeden bösen Mann.« Der Junge murmelte etwas, das Freyr nicht richtig verstehen konnte. Bevor er ihn bitten konnte, es zu wiederholen, rief eine Kindergärtnerin den Jungen zu sich. Freyr richtete sich auf und ging hinaus. Die hässliche Situation und der Vandalismus mussten einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen haben, denn das Wort, das er meinte, gehört zu haben, war
schmutzig
.

3. Kapitel
    Katrín saß auf dem Rand der Terrasse, schloss die Augen und sog genießerisch die saubere Luft ein. Der Holzboden war an einer Ecke eingesunken, so dass sie sich nach hinten lehnen musste, um das Gleichgewicht zu halten. Die Sonne war aufgegangen und hing tief am Himmel, so als sei sie zu schlapp, um den Tag durchzuhalten. Ihre Strahlen waren nicht heiß, sondern lauwarm, aber Katrín beklagte sich nicht, nachdem sie die Nacht im kalten Haus verbracht hatte. Schließlich konnte man im tiefsten Winter hoch im Norden keine großen Ansprüche an die Sonne stellen und nahm einfach das bisschen, das man bekam. Eine Brise blies sanft über ihr Gesicht und vertrieb den Farbgeruch, der sich in ihrer Kleidung und ihrem Haar festgesetzt hatte. Es fühlte sich unendlich gut an, und Katrín atmete so tief ein, wie ihre Lungen es erlaubten. Der Geruch von entzündlichen Stoffen war ihr immer unheimlich gewesen, denn jeder Atemzug vergegenwärtigte einem, dass das Gift an der begrenzten Menge von Hirnzellen zehrte. Heute beim Streichen waren bestimmt einige zerstört worden.
    Katrín schlug die Augen auf und reckte sich. Bis auf das Rauschen des Flusses, der das Haus und das verlassene Dorf voneinander trennte, war es vollkommen still. Die Stille war ihr unheimlich, und sie lauschte angestrengt. Garðar und ihr war es gestern Abend schwergefallen einzuschlafen, obwohl sie nach der endlosen Schlepperei erschöpft gewesen waren. Líf, die nach ihrer überstandenen Seekrankheit nicht viel hatte helfen können, hatte geschlafen wie ein Stein. Sie hätten ihre Hilfe allerdings gut gebrauchen können, denn die Schubkarre,
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