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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel
Autoren: K Morton
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erstaunliches Leben geführt, findest du nicht?«
    »Ja, das hat sie.«
    »Ein ganzes Jahrhundert, vom Dienstmädchen zur promovierten Archäologin. Ich würde gerne über sie schreiben.« Und nach einer Weile: »Du hättest doch nichts dagegen, oder?«
    »Warum sollte ich etwas dagegen haben?«, antwortet Ruth. »Natürlich nicht. Warum auch?«
    »Ich weiß nicht …« Ich höre, wie Marcus die Achseln zuckt. »Es war nur so ein Gefühl.«
    »Ich würde es gern lesen«, sagt Ruth bestimmt. »Du solltest ihre Geschichte aufschreiben.«
    »Ich würde sie verändern«, sagt Marcus. »Es würde etwas anderes dabei herauskommen.«
    »Aber kein Krimi.«
    Marcus lacht. »Nein. Kein Krimi. Einfach nur eine nette wahre Geschichte.«
    Ach, mein Liebling. So etwas gibt es doch gar nicht.
Ich bin wach. Marcus sitzt neben mir im Sessel und schreibt in seinen Notizblock. Er blickt auf.
    »Hallo, Grace«, begrüßt er mich lächelnd. Er legt den Block beiseite. »Ich bin froh, dass du wach bist. Ich wollte mich bei dir bedanken.«
    Bedanken? Ich hebe die Brauen.
    »Für die Bänder.« Er hält jetzt meine Hand. »Für die Geschichten, die du mir geschickt hast. Ich hatte schon fast vergessen, wie sehr ich Geschichten mag. Sie zu lesen, zu hören, sie aufzuschreiben. Seit Rebecca … es war so ein Schock … ich konnte einfach nicht mehr …« Er holt tief Luft und lächelt mir zaghaft zu. Beginnt noch einmal von vorn. »Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich Geschichten brauche.«
    Freude – oder ist es Hoffnung? – wärmt mir das Herz. Ich möchte ihn ermutigen. Möchte ihm zu verstehen geben, dass die Zeit eine Meisterin der Perspektive ist. Eine leidenschaftslose Meisterin, atemberaubend effizient. Offenbar sieht er mir die gedankliche Anstrengung an, denn er sagt leise: »Sag nichts.« Er hebt eine Hand, streichelt mir sanft mit dem Daumen über die Stirn. »Ruh dich jetzt aus, Grace.«
    Ich schließe die Augen. Wie lange mag ich schon so daliegen? Schlafe ich?
    Als ich meine Augen wieder öffne, sage ich: »Es gibt noch eine.« Meine Stimme ist ganz heiser, weil ich sie kaum noch benutze. »Noch eine Kassette.« Ich zeige auf die Kommode, und er geht nachsehen.
    Er findet die Kassette neben den Fotos. »Diese hier?«
    Ich nicke.
    »Wo ist dein Walkman?«
    »Nein«, sage ich schnell. »Nicht jetzt. Die ist für später. «
    Er ist verblüfft.

    »Später«, wiederhole ich.
    Er fragt nicht, wann später? Das braucht er nicht. Er steckt die Kassette in seine Brusttasche und tätschelt sie. Lächelt mich an und streichelt meine Wange.
    »Danke, Grace«, sagt er leise. »Was werde ich nur ohne dich tun?«
    »Dir wird es gut gehen«, erwidere ich.
    »Versprichst du mir das?«
    Ich mache keine Versprechungen, nicht mehr. Aber ich nehme all meine Kraft zusammen, um seine Hand zu drücken.
     
    Der Abend dämmert: Ich merke es an dem purpurnen Licht. Ruth steht an meiner Zimmertür, einen Beutel unter dem Arm, die Augen besorgt geweitet. »Ich komme doch nicht zu spät, oder?«
    Marcus steht auf, nimmt ihr den Beutel ab und umarmt sie. »Nein, du kommst nicht zu spät.«
    Wir werden uns den Film, Ursulas Film, gemeinsam ansehen. Ein Familienereignis. Ruth und Marcus haben es organisiert, und wie ich sie so zusammen erlebe, wie sie Pläne machen, werde ich mich nicht einmischen.
    Ruth gibt mir einen Kuss, stellt einen Stuhl so hin, dass sie neben meinem Bett sitzen kann.
    Noch ein Klopfen an der Tür. Ursula.
    Der nächste Kuss auf meiner Wange.
    »Schön, dass Sie es noch geschafft haben«, sagt Marcus strahlend.
    »Ich wollte das Ereignis auf gar keinen Fall verpassen«, erwidert Ursula. »Danke für die Einladung.«
    Sie setzt sich auf meine andere Seite.
    »Ich lass nur noch die Jalousien runter«, sagt Marcus. »Fertig?«

    Es wird dunkler. Marcus zieht sich einen Stuhl heran und nimmt neben Ursula Platz. Flüstert etwas, worüber sie lachen muss. Ich bin glücklich, dass sich um mich herum alles zu einem guten Ende gefügt hat.
    Die Musik setzt ein, und der Film beginnt. Ruth drückt meine Hand. Wir sehen ein Auto in der Ferne, das über eine kurvenreiche Landstraße näher kommt. Ein Mann und eine Frau sitzen im Wagen und rauchen. Die Frau trägt ein Paillettenkleid und eine Federboa. Sie biegen ab und folgen der gewundenen Auffahrt von Riverton. Und da steht es. Das Haus. Riesig und kalt. Ursula hat die bizarre und dekadente Schönheit von Riverton perfekt eingefangen. Ein Diener tritt an den Wagen. Wir sind im
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