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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht
Autoren: Kjell Westoe
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schlug stattdessen ein paar andere Durakkorde an, D, G, D und A.
    »Ich bin Hendrix begegnet«, erklärte Ariel unvermittelt. »Ich habe mit ihm geredet. Jedenfalls fast.«
    »So, so«, sagte ich, und es gelang mir nicht, meine Ungläubigkeit und einen leicht belustigten Ton in der Stimme zu verbergen. »Wo denn?«
    »Auf einem Schiff.« Ariel gab keine nähere Erklärung, nahm nur die Gitarre an, die ich ihm verlegen reichte. Dann fragte er:
    »Wie sieht es zu Hause aus, ist einer von den Alten noch aktiv?«
    Ich begriff, dass er an Popstars dachte, und sagte:
    »Kari Kuoppa. Seine Sachen sind kitschig, aber er ist anscheinend nicht totzukriegen. Alex Karjagin ist vor ein paar Jahren gest…«
    »Ich weiß«, unterbrach Ariel mich, »das mit Karjagin hat Jouni mir geschrieben. Wie ist es mit Jugi Eskelinen, spielt er noch?«
    »Konzerte gibt er, soweit ich weiß, keine mehr«, antwortete ich. »Aber letztes Jahr ist eine Platte zu Ehren Karjagins erschienen, und ich glaube, dass er darauf mitspielt.«
    Nachdem er durch den Schnaps ein bisschen gesprächiger geworden war, wollte ich mit Ariel nicht über alte Musikheroen sprechen, sondern Fragen stellen: persönliche, wichtige Fragen. Doch seine reservierte Haltung hatte sich auf mich übertragen, eine Stunde nach der anderen war vergangen, ohne dass ich es gewagt hatte, die Fragen zu stellen, die mir am meisten auf der Zunge brannten.
    »Wovon lebst du eigentlich?«, umkreiste ich das Ziel. Er hatte bereits erzählt, dass er in jüngeren Jahren überall auf der Insel auf Baustellen gearbeitet und in den Gaststätten Visbys als Musikant aufgetreten war, und ich nahm an, dass er sich BJ Johansson oder so ähnlich genannt hatte. Aber mir war auch klar geworden, dass diese Zeiten vorbei waren.
    »Gartenarbeit«, sagte er. »Außerdem kümmere ich mich um die Sommerhäuser der Leute. Es gibt jede Menge Stockholmer und andere, die hier ein Haus haben, aber nur gelegentlich mal eine Woche vorbeischauen. Jemand muss auf sie aufpassen. Betreut man genug Häuser, kommt einiges zusammen.« Er schwieg einige Sekunden, dann ergänzte er: »Aber ich will nicht lügen. Wenn es schwierig war, hat Jone mir Geld geschickt. Von Anfang an. In den letzten Jahren bin ich allerdings besser über die Runden gekommen.«
    »Ich verstehe das nicht ganz«, sagte ich. »Du hast weder einen Computer noch ein Telefon. Wie erreichen die Leute dich?«
    »Olssons auf dem Hof in der Nähe nehmen Nachrichten für mich an. Sie sind meine Vermieter, nette Leute. Die meisten Häuser betreue ich seit vielen Jahren, das hat sich alles eingespielt.«
    »Ich verstehe es trotzdem nicht«, entgegnete ich hilflos.
    Ariel betrachtete mich gereizt. Er war bereits betrunken, das sah ich, aber nur ein bisschen. Sein hageres Gesicht wirkte nach wie vor wachsam, er hatte sich nicht geöffnet und würde es vermutlich auch nicht mehr tun.
    »Was verstehst du nicht?«
    »Wie man so leben kann. Du hast hier doch nichts … kein Auto, keinen Fernseher, nichts.«
    Ariels Miene wurde freundlicher, das schnelle Lächeln tauchte wieder auf und hielt sich diesmal etwas länger:
    »Wenn einige Zeit vergangen ist, merkt man, dass man auch ohne das alles zurechtkommt. Das gilt für die meisten Dinge. Außerdem habe ich schon ein paar Sachen. Ich habe eine Gitarre. Und einen CD-Spieler. Und ein Radio. Und ein Moped, aber mit dem stimmt etwas nicht.«
    Ich verdrehte die Augen, das war natürlich scherzhaft gemeint: Zum ersten Mal an diesem langen Tag und Abend fand ich, dass wir uns ein bisschen gefunden hatten, uns nicht mehr so vor dem anderen fürchteten. Ariel bestätigte in gewisser Weise mein Gefühl, denn er begegnete meinem Blick und sagte zurückhaltend: »Was es hier gibt, reicht mir, Frank. Alles, was es da draußen gibt … alles Furchtbare und alles Wundervolle, das ist nichts für mich, das ist es seit ewigen Zeiten nicht mehr gewesen.«
    In dem Schweigen, das auf seine Worte folgte, zündete er sich eine neue Zigarette an, betrachtete mich nachdenklich und sagte: »Du solltest nicht auf Jone Manner wütend sein, sondern auf mich. Jone bekniet mich seit zwanzig Jahren, dich wissen zu lassen, dass ich noch lebe. Er hat mir immer gesagt, dass du nicht auf den Kopf gefallen bist und dieser Tag irgendwann kommen wird.«
    Ich sah keine Möglichkeit, die Frage noch länger hinauszuschieben:
    »Bist du denn niemals neugierig auf mich gewesen? Darauf, wie ich bin? Was aus mir geworden ist?«
    Eigentlich hätte er wissen
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