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Gegenschatz

Gegenschatz

Titel: Gegenschatz
Autoren: Leah Moorfeld
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als herrsche eine magische Verbindung zwischen mir und dem Instrument und ich fühle mich plötzlich frei und leicht, wie selten in meinem Leben. Ich stimme einen Country-Song an und Tamara beginnt sofort mitzusingen. Ihre Stimme klingt wundervoll – besser als meine – aber auch ich singe gerne und zumindest treffe ich die Töne. Ich spiele Schnulzen, Popsongs, Country, die Beatles und vieles mehr - bis spät in die Nacht. Ich kann einfach nicht aufhören und ich fühle mich auf eine wundervolle Art verbunden mit meiner Schwester. Mir wird erst jetzt bewusst, wie sehr ich sie die letzten Jahre vermisst habe. Vielleicht sind wir doch nicht so unterschiedlich, wie ich immer dachte. Da es sehr spät wird, biete ich ihr schließlich an, bei mir zu schlafen. Heute Nacht stören uns keine Geräusche aus der Nachbarwohnung. Dort ist es außergewöhnlich still und ich wundere mich noch darüber, bevor ich in den Schlaf sinke.

Simon
    Pünktlich um sechs reißt mich der Radiowecker aus den Träumen. Zur Begrüßung des Tages übermannt mich ein Niesanfall. Ich reibe mir die brennenden Augen. Mist! Das Antiallergikum sollte doch eigentlich 24 Stunden wirken und nicht nur über Nacht! Tamara schläft noch tief, als ich in meine Kleidung schlüpfe und frühstücke. Meine Schwester hat zwar Urlaub, wird aber heute Abend wegen einer Verabredung verschwunden sein, deshalb lasse ich sie schlafen und schreibe ihr einen kurzen Brief:
    «Liebe Tamara,
    der Abend mit dir war sehr schön. Das können wir gerne mal wiederholen, wenn du Lust hast. Du kannst dich aus meinem Kühlschrank bedienen, aber dafür holst du dir ja eh nie meine Erlaubnis – grins!
    Liebe Grüße
    Julia»
    Da der Tag warmes Wetter verspricht, schwinge ich mich auch heute wieder auf mein Mountainbike. Ich fühle mich jedoch alles andere als Wohl in meiner Haut, weil ich immerzu an Simon denken muss und wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Am liebsten würde ich ihm fortan aus dem Weg gehen, aber das ist unmöglich. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen steige ich die Treppenstufen zum Labor hinauf. Jessica und Carlos sitzen bereits an ihren Arbeitsplätzen und unterhalten sich angeregt über einen Kinofilm. Sie grüßen mich fröhlich und vertiefen sich dann wieder in ihr Gespräch. Simon kann ich noch nirgends entdecken. Ich hole die Petrischalen aus dem Brutschrank und eine der Pipetten aus den Schubfächern. Heute müssen meine Kulturen auf ihre Reaktion nach der Zugabe verschiedener Substanzen getestet werden. Ich will mich gerade daran machen, eine 15-prozentige Kochsalzlösung zu mischen, da sehe ich Simon aus den Augenwinkeln. Oh nein! Mein Magen wird flau. Ich schaue nicht auf, als er ohne ein Wort in seinem Büro verschwindet. Ich schaffe es mit nur mäßigem Erfolg, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Eine Lösung muss ich drei mal neu ansetzen, weil ich jedes mal die Mischverhältnisse vertausche. Als die Kollegen sich zur Mittagszeit bereit machen, um die firmeneigene Kantine zu stürmen, geselle ich mich zu ihnen. Als ich mich kurz umblicke, sehe ich, wie Simon mir nachschaut. Der Nachmittag verläuft etwas besser und ich kann mich wieder einigermaßen konzentrieren. Zum Feierabend mache ich mich mit der letzten Gruppe auf, das Labor zu verlassen, doch Simon kommt mir zuvor.
    «Julia, kann ich dich nochmal kurz sprechen?»
    Nein, ich will nicht! Dennoch gehe ich langsam ohne ein Wort in sein Büro und vermeide dabei, ihm in die Augen zu sehen. Keiner der Mitarbeiter ist mehr da, wir sind allein, als Simon die Türe hinter mir schließt. Mein Herz pocht auf Hochtouren.
    «Julia, ich möchte etwas geschäftliches mit dir besprechen!»
    Puh! Ich atme erleichtert aus und sehe ihn an.
    «Es geht um die Teamleitung. Ich benötige eine Stellvertretung und habe dabei an dich gedacht!»
    Ich schnappe hilflos nach Luft. Damit habe ich nicht im Traum gerechnet.
    «Aber… warum gerade ich?»
    «Ganz einfach, weil ich es dir am meisten zutraue, die Nasen hier zu führen. Sie mögen und respektieren dich und deine Arbeit ist perfekt.»
    Ich sollte mich geschmeichelt fühlen, aber ich schüttele den Kopf.
    «Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist!», antworte ich ausweichend.
    «ich bin sicher, das ist eine sehr gute Idee!», flüstert er geheimnisvoll.
    Und da ist mir Simon plötzlich wieder ganz nahe. Er umfasst meine Taille mit einem Arm und zieht mich zu sich heran. Ich sollte mich wehren! Sofort! Oder? Er ist doch der perfekte Mann für mich!
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