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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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sollte immer dem Instinkt folgen, der uns treibt: denn der Instinkt zeigt uns mit unfehlbarer Sicherheit, wo die Blume wächst, die man pflücken und schenken soll, wo die wunde Stelle in des andern Herzen ist, auf die man Balsam legen kann. Freude ist der Sonnenstrahl, der eine Kammer vergolden kann, und wäre es auch nur für einen Augenblick! Der Augenblick ist doch gewesen und zählt im Leben. Und der die Freude gebracht hat, ist doppelt erfreut, denn Freude machen ist von allen Erdenglückseligkeiten die größte. Sie ist so goldrein, so klar, so erhaben über alle niedrigen Gefühle, daß sie den veredelt, der sie spenden darf, und oft vor seinen eignen Augen besser erscheinen läßt. Denn der Strahl, der aus des andern Auge in das seine fiel, war noch weit wärmer, als der den er gebracht! O Seele! Freude und wieder Freude! das sollte deine Losung sein! Freude und immer Freude!
    Laß die Blume nicht stehn, die du dem Freunde bringen wolltest, laß das Wort nicht ungesagt, das ihm Trost spenden sollte, laß die Hand nicht an deiner Seite niederhängen, deren Druck erquicken sollte. Wenn du in ein Zimmer trittst, denk nur gleich, wen du erfreuen sollst, du kommst doch nie umsonst herein, du bist hingeschickt, um irgend etwas zu tun, das sonst ungeschehen bliebe. Sieh dich um und gleich wirst du entdecken, wer es ist, der deiner bedarf, und dem du hast Gutes bringen sollen, und wäre es auch nur ein Morgengruß, da seine Nacht unruhig und bange gewesen, und er es nicht eingestehen will; oder ein Wort, damit er den Klang deiner Stimme hört, den er besonders gern hat. Oft verlangt ein Kranker nur nach dem gewissen Klang einer gewissen Stimme, die er lieb hat, auch wenn der Sinn der Worte ihn nicht erreicht, und ihm wird wohler.
    Sei du so warm, daß dein Erscheinen wirkt wie ein Strahl, daß du Freude machst, nur weil du gekommen bist, liebe Seele. Das kannst du sehr wohl durch vollkommenes Selbstvergessen und Selbstentäußerung. Statt einzutreten mit dem Gedanken, daß man dirnicht wohl will, sei du wohlwollend, und du wirst siegen wie die Sonne über den Frost und Winterreif über Nebel und düstere Wolken. Vor deiner unverwüstlichen guten Laune werden dunkle Stirnen sich aufheitern, und ein Lächeln erwachen und ein freundlich Wort zu den Lippen aufsteigen, die vorher mürrisch verschlossen waren. Es gibt Menschen, welche die Gabe haben, überall gute Laune und Freude hinzutragen, wo sie auch immer erscheinen. Man kann sich darauf verlassen, daß das stets ganz altruistische Menschen sind, in die nie ein Hauch von Selbstsucht hat eindringen können, weil einfach kein Platz dafür da ist, weil sie von den andern erfüllt sind, und von dem, was diese bedürfen, daß sie nicht Zeit haben an ihr eignes Ungemach zu denken.
    Es gibt Menschen, ohne welche es gar keinen rechten Spaß gibt, weil ihre gute Laune auch dem scheinbaren Ungemach die heitere Seite abgewinnt, und den andern weismacht, es sei alles herrlich, und prachtvoll, wenn es auch noch so bescheiden ist.
    Man kann einem Menschen bei der wenigstguten Mahlzeit Appetit machen, indem man ihm vorspiegelt, das Essen sei sehr gut, odermit so heiterem Scherz über die schlechte Speise hinweghilft, daß der andre satt wird, und nicht weiß wie. Man kann auch dem andern ein lukullisches Mahl ganz verderben, indem man es schlecht findet, und alles daran kritisiert. Die Phantasie, diese liebenswürdigste Gesellschafterin, macht eben alles hell, wo sie einkehrt. Zumal das Essen kann man durch Phantasie gut machen und verderben. Phantasie ist die große Freudenbringerin, sie läßt einen erraten, womit man Freude bereiten kann, sie macht heiter, wo alles dunkel war, sie erfreut, wo kein Grund zur Freude vorhanden ist.
    Deswegen kann man nicht dankbar genug sein, wenn einem diese Freudenbringerin in die Wiege gelegt worden ist. Man macht sich selbst das Leben so viel schöner, wenn man es durch seine Phantasie erhellen läßt.
    Freude ist der liebste Gast, den man nie verfehlen sollte in die Ehe und an jeden Mittagstisch einzuladen. Freude ist so hell, daß sie eine Leuchtkraft ist, da wo sonst keine andre Leuchtkraft vorhanden ist, oder erschwungen werden kann. Singen bei der Arbeit ist darum so ratsam, weil das Singenfroh macht und viele schlimme Gedanken fortjagt. Singen bei Kranken ist so gut wie Arzenei, mit sanfter leiser Stimme ein Lieblingslied, und jeder Kranke wird lächeln! Ist das Lächeln nicht überhaupt eine Himmelsgabe, die Gott seinen Menschenkindern
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