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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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irdischer Arzt ihnen helfen kann, die andernglauben nur ans Messer und an die Kunst der Chirurgie. Es ist auf dieser Erde eben alles Glauben und weder Wissen noch Schauen. Darum ist der einfachste Kinderglauben vielleicht der allerbeste, nicht der Glauben, den die Kirche lehrt; denn die Kirche ist wiederum Menschenwerk, und darum vergänglich und jedem Irrtum preisgegeben, sondern der einfache Glauben, den jeder in seiner eignen Brust findet, wenn er ihn nicht künstlich hinauserzogen, und hinausgebildet bat. Darum soll der ehrliche Zweifler auch einen guten Platz an unserm Herde haben. Den ehrlichen Zweifler hat Gott lieb, denn er denkt. Der Zweifel ist eine andre Form des Anbetens manchmal, denn es ist der Mensch, der alles ungenügend findet, die Wissenschaft, die Religionen, die Philosophien, der am Ende am allermeisten Recht hat; denn alle Religionen, alle Philosophien, alle Wissenschaften sind Menschenwerk und menschlichen Gehirnen entsprungen, deshalb jedem Irrtum ausgesetzt und der Zweifler will der Wahrheit näher kommen als alles, was man ihm an Errungenschaften bietet, darum werden ihm die Nägelmale gezeigt, darum hat die Gottheit Mitleid mit seiner ewigen Frage, da, wo die Menschenverdammen, und verurteilt nicht, da wo die Menschen steinigen. Deine Überzeugung ist für den andern noch lange keine Überzeugung, selbst wenn sie in dir felsenfest steht, und du kannst sie ihm nicht beibringen, weil er nach deiner Überzeugung weder Verlangen noch Bedürfnis hat. Die Form deiner Frömmigkeit ist ihm vielleicht gar nicht angenehm, während deine Frömmigkeit selbst ihn mit Andacht und Ehrfurcht erfüllt und er sie um keinen Preis stören oder vernichten möchte. Nur ihr Ausdruck ist ihm unverständlich und er kann das nicht teilen was dich erbaut. Laß ihn doch und geh deinen Weg. Du weißt, daß er dir der rechte ist. Der seine läuft nebenher, mit andern Schuhen, mit andern Steinen, mit andern Hindernissen; da braucht er auch eine andre Religion. Die Errungenschaft deiner Wissenschaft beglückt und bereichert dich, dem andern ist sie nichts nütze und er hört dir nur befremdet zu und sieht den hohen Wert deines erlangten Erkennens nicht ein oder hat keinen Genuß davon. Es ist so als wollte man von einem Tauben verlangen Musik zu genießen, und wenn sie auch himmlisch klingt. Wenn sie ihm verschlossen ist, so kann man es für ihn bedauern, aber mit keiner Gewalt kannman sein Gehör offnen, und wenn man ihm noch so oft sagt, daß die ihn umwogende Musik schön ist, wenn er keine Partituren lesen kann, so wird er eben nichts davon ahnen. Laß ihn doch und mach ihn nicht traurig indem du ihm das Gefühl gibst, daß er soviel entbehren muß, was dir in so reichem Maße geschenkt ist. Dafür hat er andere Freuden die dir keine sind. Der eine meint eine väterliche Regierung sei das einzig richtige für die kindlichen Völker die man nicht zu sehr aufklären müsse, der andre findet, daß alle Menschen so aufgeklärt werden müssen, daß sie keiner väterlichen Regierung mehr bedürfen, sondern sich selbst regieren können. Und nun ereifern sich beide, und wenn sie sich recht ereifert haben, dann denkt jeder wie zuvor und keiner hat etwas von seinem Standpunkt eingebüßt, höchstens haben sie sich geärgert und waren unduldsam, und fühlen hernach eine Art von geistigem Katzenjammer über ihre verschwendete Lungenkraft und ihre Unfreundlichkeit.
    Der eine ist zu hart erzogen worden und kann außer sich kommen über jede Erziehungsmaßregel, weil ihm nun alle zu hart erscheinen, der andre leidet darunter, daß er verwöhntworden ist, und möchte nun alle Kinder zu reinen Stoikern und Spartanern erziehen.
    Zur rechten Stunde Stoiker sein und zur rechten Stunde mit dem Kopfe in der Mutter Schoße liegen und seine tiefsten Gedanken und Herzensgeheimnisse ins treue Herz ausschütten, das ist das Rechte. Nicht immer alles sein, sondern alles zu seiner Zeit.
    Dulden, duldsam sein, ist göttlich und erhaben und macht den Eindruck großer Weisheit und Erkenntnis, viel mehr als predigen und bekehren.
    »Du dürftest Recht haben!« sagt der Weise. »Du mußt glauben oder du wirst verbrannt!« der unweise Eiferer. Wie gebildet würde eine Gesellschaft werden, in welcher jeder angehört würde und über eines jeden Meinungen und Ansichten nachgedacht würde, mit Erwägung der Umstände, aus denen eine solche Meinung entsprungen ist.
    Es würde keine Eiferer mehr geben, weil der Widerspruch, der sie reizt, wegfallen würde.
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