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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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ihnen bekannten Mittel, die du nicht anwenden kannst. Laß die andern Leute gehen und vergleiche dich nicht mit ihnen, liebe Seele. Sie sind anders gebaut als du, und der Vergleich kann dir nicht helfen und nicht nützen. Du mußt mit dir ganz allein fertig werden. Da hilft nur, zu denken, daß du nie allein bist, nie, sondern von tausenden von Wesen umringt, die dir nicht ins Bewußtsein treten, weil sie nicht dieselbe äußere Erscheinung haben wie du. Aber es sind lauter Schwesterseelen. Die sind feiner geartet als die dich umgebenden Menschen. Rede mit deinen geliebten Toten. Du wirst dich plötzlich verstanden und erleichtert fühlen,und die Gewissensangst wird dir vom Herzen genommen mit weichen zarten Händen. Quäle dich nicht über die Maßen liebe Seele! Du kannst dich selbst doch nie ganz zufrieden stellen; denn jeder deiner Tage muß der Versäumnisse viele bringen. Dem kannst du nicht entgehen.
    Dein schlechtes Gewissen ist auch manchmal eine Art von Überhebung. Du meinst, so viel mehr haben leisten zu können, oder du legst deinen Worten eine allzugroße Wichtigkeit bei. Bescheide dich, liebe Seele, und lerne, garnicht mehr, auch bei der Nacht nicht mehr, an dich selbst zu denken, sondern nur an die andern, denen du helfen sollst, und wäre es nur, seinen eignen, schlechten Charakter zu bekämpfen und zu überwinden. Das »Erkenne dich selbst!« besteht garnicht im Grübeln über sich selbst, sondern im ruhigen Buchen der gemachten Erfahrungen, bei dir so gut, wie bei andern Leuten.
    Verkannt zu werden ist dir merkwürdig bitter. Lerne zu lächeln und zu denken, daß man dich in fünfzehn bis zwanzig Jahren ganz anders beurteilen wird, und daß andrer Leute Urteil nie und nimmer dein Gewissen belasten sollte, schreibe nur während einer Woche auf,was dir verschiedene Personen über dich sagen, und du wirst sehen, wie sie sich nicht nur untereinander, sondern sogar selbst widersprechen, unter dem Einfluß ihrer augenblicklichen Laune. Du selbst, hüte dich, ungerecht zu sein: denn du weißt, daß es dich später den Schlaf kosten wird, da du nun einmal das Gewissen bekommen hast, das sich nicht beruhigen läßt.
    Sage es nie den andern; die würden dich nicht verstehen und glauben, daß du alles mögliche Schlechte zu verbergen hast. Verbirg dein ängstliches Gemüt vor ihnen, sie würden dich bald mißhandeln. Angst muß man nie zeigen, sonst wird man zertreten. Dein banges Gewissen trag vor Gott und bitte ihn, dir seine Engel zu senden, die mit weichem Flügelschlag den Schlaf heranwehen, und die zarten Hände auf dein Herz legen, bis du garnicht weißt, wo deine törichte Angst hingekommen ist. Beschwere nie deinen Magen; denn das Gewissen hat seinen Wohnsitz in der Magengegend und kommt manchmal nur von einer unvorsichtig genossenen Speise. Das Γνώδι σεαυτών [Fußnote]hat ebensosehr auf den Körper Bezug
    als auf die Seele. Der Körper muß sehr beachtet werden, und niemand kann das so gut als du selbst. Wenn Essen dich bange macht, iß nicht. Ein wenig Obst und Brot sei deine Speise. Wenn Hunger dich bange macht, so lege dich nur mit sattem Magen. Aber mit allen äußern und innern Mitteln bekämpfe das unruhige Gewissen, das dir Schlaf und Kräfte, Verstand und Einsicht raubt. Sei heiter, liebe Seele, nicht dunkel! Im Himmel ist es vor allem hell!
     

Ehrgeiz
    Diesem Abschnitt sollte man das schöne Gedicht von Wilhelm Jordan voranschicken: »Bescheide dich!« Denn es will von dem unruhigen Gesellen, dem Ehrgeiz, reden. Du meinst, liebe Seele, du bist garnicht ehrgeizig. Aber was dich eben nicht schlafen läßt, das ist doch ein Gefühl, das dem Ehrgeiz merkwürdig nahe verwandt ist. Mendelssohn hatte mit 19 Jahren schon den Sommernachtstraum geschrieben! Denkt, der zwanzigjährige Komponist, und wandelt in seinem Zimmer auf und ab statt zu schlafen. Victor Hugo schrieb mit 80 Jahren noch wunderschön! Denkt, der Dichter, der sich ergrauen sieht und erkalten fühlt.
    Von gemeinem Ehrgeiz, Ruhmsucht, Glanzsucht, von Hermelinfieber und Größenwahn reden wir hier nicht. Hier ist es von Seele zu Seele, die ganz stillen, zarten Regungen, die niemand kennt, als die stille Nacht undwas in der Nacht wach ist, unsre stärksten Gefühle und brennendsten Gedanken, unsre verborgensten Regungen und ungestandenen Schmerzen.
    Es ist notwendig, bis zu einem gewissen Grade ehrgeizig zu sein, aber nur vor sich selber, nicht vor den Menschen. Aber dies Gefühl, sein Bestes leisten zu wollen, nicht zu
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