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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen
Autoren: Rebecca Lim
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dafür umso mehr an meine Höhenangst. Wie immer warnt Luc mich vor jenen anderen, die nach mir suchen, jenen acht. Wenn sie mich fänden, würden sie mich zerstören, denn außer ihm seien sie die mächtigsten Feinde, die man in dieser Welt haben könne.
    „Wenn sie dich fangen“, warnt er mich, „werden sie dich mit Sicherheit töten. Und das, meine Liebe, ist kein Traum.“
    Diese schrecklich-schönen Botschaften flüstert er mir zu, mit jenem halben Lächeln, das mir so vertraut ist. Dann ist es, als strömte Licht aus ihm, ganz kurz nur, und schon ist er fort.
    Ich erwache mit seinen Warnungen im Ohr. Als ich zu mir komme, sitze ich aufrecht hinten in einem Bus voller kreischender, plappernder Mädchen, alle in den gleichen Schuluniformen. Ich starre auf den rot und grau gemusterten Rock, den ich unerklärlicherweise trage, und frage mich, auf welche Katastrophe ich da zusteuere und wer zum Teufel ich diesmal sein soll.

Kapitel 2

    „Carmen? CAAARMEN!“
    Das Wort hallt mir in den Ohren nach, mit seinem theatralisch gerollten R. Ich senke abrupt den Kopf und spähe durch einen ungewohnten Vorhang aus lockigem, schwarzem Haar. Einen Moment lang bin ich völlig orientierungslos, bis mir plötzlich klar wird, dass das meine eigenen Haare sind.
    Das Geschrei kommt von einem vollbusigen, blonden Mädchen mit scharf geschnittenen Gesichtszügen, das sich schräg gegenüber von mir über den Gang beugt. Ich presse Knie und Hände fest zusammen, um das Zittern in den Griff zu kriegen.
    Carmen. So heiße ich also diesmal. Und der Gedanke, dass ich nicht mehr Lucy oder Susannah bin oder das Mädchen davor, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, dessen Leben mir aber am Ende so gut gefiel, dass ich es gern weitergelebt hätte, bringt meine Welt ins Wanken und beschleunigt meinen Atem. Ich spüre, wie Carmen blass wird, während ich darum kämpfe, ihren Körper unter Kontrolle zu bekommen.
    Alles ist plötzlich zu laut, zu grell und tausendfach verstärkt. Carmens Herz fühlt sich an, als könnte es jeden Moment in ihrer Brust explodiere n – in unserer Brust. Und wenn das passiert, ist es meine Schuld, dann muss ich ihren leblosen Körper sofort verlassen und mich wie ein Ghul, wie ein rachsüchtiger Ifrit in einem anderen Körper einnisten. Dabei müsste ich doch langsam wissen, was ich zu tun habe. Man sollte meinen, dass ich inzwischen genug Übung darin hätte. Aber es wird nie leichter. Jedenfalls nicht in diesen schicksalhaften ersten paar Stunden und Tagen.
    Ich zwinge mich, langsamer zu atmen, und konzentriere mich mühsam. Die Muskeln in Carmens Hals und Gesicht weigern sich, ihren Dienst zu tun. Ich bin schweißüberströmt, und ich könnte wetten, dass Carmens Wangen hektisch rot sind.
    Wer immer die Blonde sein mag, meine Verlegenheit entgeht ihr nicht, auch nicht, wie falsch Carmens Gesichtsausdruck plötzlich ist, ihr Verhalten. Denn der Blick der Blonden wird jetzt bohrend, ihre sowieso schon schrille Stimme schießt noch eine Oktave in die Höhe und sie kreischt: „He, was ist los mit dir, du dumme Nuss? Du bist ja so was von daneben. Ich meine: Hal-lo? Ich schrei mich hier heiser und du reagierst überhaupt nicht! Willst du denn gar nicht wissen, mit wem Jarrod Daniels jetzt geht?“
    Mit einem Schlag verstummt der ganze Bus, alle Köpfe fahren zu uns herum.
    Dumme Nuss? Bei diesen beiden Worten schaltet Carmens Herz einen Gang höher, heult auf unter dem Ansturm meiner irrsinnigen Wut. Ich bin also jähzorni g – interessant zu wissen.
    Ein unerklärlicher, dumpfer Schmerz breitet sich in meiner linken Hand aus, und ich berge sie schützend im rechten Ellbogen an der Seite, als sei ich gerade verwundet worden. Carmens Haut ist jetzt so heiß, dass mein Zorn sie töten wird, wenn das nicht aufhört. Und das darf nicht sein, sie ist unschuldig. Es ist, als wäre ein Gebot aus meinem tiefsten Inneren aufgestiegen, das ich momentan nicht erfüllen kann.
    Auf diese seltsame Weise, in der ich manchmal zu viel zu schnell in mich aufnehme, registriere ich, dass außer mir noch neunzehn andere Mädchen anwesend sind plus zwei Lehrerinnen. Beide sind schlecht gealtert. Die eine hat kurzes, eisgraues Haar und ein hartes Gesicht und trägt baumelnde Ohrgehänge. Die andere mit dem massigen Kinn hat eine lächerlich mädchenhafte Bobfrisur.
    Ich spüre die Qualen des Fahrers vorne, der in der ständigen Angst lebt, dass seine Frau ihn wegen eines anderen Mannes verlassen könnte. Eine Angst, die ihm
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