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Gefährten des Zwielichts

Titel: Gefährten des Zwielichts
Autoren: Alexander Lohmann
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wieder sinken ließ, konnte Wito ins Innere blicken.
    Das von außen glänzende Silber war innen matt, fast bleigrau. In der Mitte des Behältnisses schwebte ein schlichter brauner Stein. Er war unregelmäßig geformt, wie eine Kartoffel, und die Oberfläche war porös. Es gab schwarze Stellen mit einem eigentümlichen Glanz wie von Pechkohle. Der Stein ruhte auf einem sanften Schimmer wie auf einem durchscheinenden Kissen.
 
    Wito hatte sich Leuchmadans Herz eindrucksvoller vorgestellt, als Edelstein, prächtig und glänzend. Und ebenmäßig geformt. Dafür hatten sie so viel gewagt?
    Nein. Es ging nicht um diesen Stein. Das Kästchen war wichtig, denn darin ruhte die Lebenskraft der Grauen Lande!
    Gulbert hatte inzwischen das Fläschchen wieder abgestellt und ein großes Tuch aus feiner Seide zum Vorschein gebracht. Das legte er nun über seine Handfläche und griff damit nach dem braunen Brocken in dem Kästchen. Als die Seide sich um Leuchmadans Herz schloss, erlosch das Schimmern, auf dem es schwebte.
    »Oh weh«, sagte Gulbert. »Die Verbindung zwischen Leuchmadans Herz und dem Silber ist unterbrochen. Ich fürchte, ich habe Baskon und die übrigen Wardu endgültig ausgelöscht. Nun ja, ein unvermeidliches Opfer.«
    Er streckte Chaspard das Seidenbündel entgegen, während er mit der Linken auffordernd nach dem Kästchen griff.
    Die beiden tauschten ihre Stücke, und Gulbert drückte die leere Schatulle an seine Brust. Ein zärtlicher, versonnener Ausdruck zeigte sich auf seinem runzligen Gesicht. Er nickte in Richtung der rückwärtigen Höhlenwand und befahl: »Chaspard. Die Quelle des Blutes findest du dort hinten. Beseitige bitte Leuchmadans Herz, es ist hier nicht mehr vonnöten.«
    »Leuchmadans Herz?«, fragte Wito. »Aber ... was ist mit dem Kästchen.«
    »Oh, das Kästchen ...« Gulbert drückte das silberne Behältnis mit der Linken an sich und tätschelte es mit der Rechten. »Das behalte ich.«
    Wito starrte ihn fassungslos an.
    Der Alte lächelte.
    »Komm schon, kleiner Gnom«, sagte er. »Was hast du gedacht? Das Kästchen war nie das Problem. Leuchmadans Herz ist es! All die Jahre haben die Weisen und die Zauberkundigen darüber gerätselt, wie man die Macht in Leuchmadans Kästchen für eigene Zwecke nutzen kann. Selbst der Unkwitt liebäugelte mit diesem Gedanken. Doch auch, wenn sie es beliebig lange in ihrem Besitz gehabt hätten - sie wären alle gescheitert. Denn Leuchmadans Herz ruhte in dem Behältnis und verband das Silber untrennbar mit seinem Herrn. So konnte man das Kästchen allenfalls von seinem Besitzer fernhalten, doch man konnte es niemals gegen ihn wenden.«
    »Und nun«, stellte Wito fest, »habt Ihr das Herz herausgeholt.«
    »Genau!«, bestätigte ihm Gulbert. In der Stimme des alten Zauberers lag ein Ton, als würden salbungsvolle Finger Wito herablassend den Kopf tätscheln. »Ich, ich ganz allein, habe erkannt, was man tun muss, um das Kästchen zu beherrschen. Nur hier war das möglich, denn das Blut der Erde wird gebraucht, um es zu öffnen. Man findet es allein an der Quelle, und man kann es auch nicht aus den Grauen Landen fortschaffen, ohne dass Leuchmadan es merkt. Man musste also das Kästchen hierher bringen.«
    Chaspard verharrte unschlüssig, das Seidenbündel in der Hand. Er blickte zu seinem Herrn auf. »Ich geh dann mal ...«, meinte er.
    Gulbert nickte.
    Chaspard schlurfte los und warf einen entschuldigenden Blick zu Wito. Der Gnom machte keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Er richtete seine Augenmerk auf die Schatulle in Gulberts Hand.
    »Ihr wollt das Kästchen gar nicht vernichten«, sagte er.
    »Ganz recht«, bestätigte Gulbert.
    »Sondern?«
    »Ach weißt du, kleiner Gnom«, sagte der Zauberer. »Wenn Leuchmadans Herz in der Quelle des Blutes versinkt, wird auch sein menschenartiges Dasein vergehen ...«
    »Er ist nicht menschenartig«, wandte Wito ein. »Es heißt, er erscheint in Gestalt eines Nachtalben.«
    »Einerlei.« Gulbert machte eine wegwerfende Handbewegung. »Jedenfalls wird der Thron der Grauen Lande vakant sein. Ich habe vor, ihn für mich zu beanspruchen. Mit dem Kästchen und mit der Macht, die es mir verleiht.«
    Er beugte sich ein wenig vor, als wolle er sich dem Gnom nähern. »Und deswegen spreche ich mit dir. Wir können unseren Streit begraben. Betrachte mich nicht mehr als deinen Feind, sondern werde zu meinem ersten Untertan. Im Grunde bin ich schon jetzt dein König, auch wenn die Ernennung noch nicht ganz rechtskräftig ist.
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