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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis
Autoren: Chiara Strazzulla
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sich zu verstecken, und der nun gemeinsam mit seinem Schöpfer unterging.
    Der Schrei verhallte allmählich. Schließlich verstummte er ganz. Jetzt wehte nur noch ein sachter Wind, der von den ersten Ausläufern der Ödnis herüberkam. Auch das Licht nahm ab und die brennende Hitze des Anhängers. Lyannen presste die Hände aneinander, doch darin spürte er die vertrauten Form des Sterns mit den fünf Zacken nicht mehr. Er schien sich mit dem Albtraum der Finsternis aufgelöst zu haben. Langsam löste er seine
Finger. In seiner Handfläche lag nur noch eine Handvoll Silberstaub.
    Lyannen spürte, wie ihm zwei Tränen die Wangen hinabliefen, während in seiner Kehle wie von selbst ein Lachen aufstieg. Er öffnete sein Hand weit und der Wind trug den silbernen Staub mit sich in die Ferne.
    Verwirrt blieb er auf seinen Knien liegen, lachte und weinte zugleich, und dann überkam ihn die Gewissheit, dass alles vorbei war. Er verharrte reglos, solange sein erschöpfter Körper noch die Kraft dazu hatte.
    Dann sank er gegen seinen Willen zu Boden, während eine letzte Träne ihm das Blut aus dem Gesicht wusch.

SECHSUNDDREISSIG
    A LS SLYMAN DIE Augen aufschlug, fand er sich in dem ihm inzwischen vertraut gewordenen Lazarett von Syrkun wieder. Die Sonne schien strahlend durch die weit geöffneten Fenster herein. Die Luft verströmte ein Gefühl von Freiheit, war so frisch und prickelnd. Dieser Wind brachte etwas Neues mit, dachte er. Da draußen unter der Sonne war nichts mehr, das man fürchten musste. Das Ewige Königreich war gerettet. Gerettet. Er wiederholte dieses einzigartige, vollkommene Wort im Geiste und kostete seinen wunderbaren Klang aus. Lyannen lag im Bett neben ihm, er schlief noch, doch sein Gesicht wirkte heiter, von jeglicher Furcht befreit. Er würde wieder gesund. Der Albtraum war vorbei.
    Plötzlich hatte Slyman Lust, laut loszulachen.
    Er sprang aus dem Bett, unfähig, noch länger still liegen zu bleiben, und kümmerte sich überhaupt nicht darum, dass er nackt war. Nichts zählte jetzt mehr. Er lief zum Fenster, während seine bloßen Füße den kalten Boden berührten. Stellte sich davor und stützte die Ellenbogen auf das Fensterbrett. Da draußen schien die Sonne, am Himmel war keine Wolke zu sehen. Er lachte aus vollem Herzen hinaus in den Wind, und sein Lachen klang nur nach Freiheit und der Freude, am Leben zu sein. Die Finsternis war besiegt. Es war vorbei.
    Es war endgültig vorbei.

    Wie weit entfernt erschienen ihm nun die schmerzvollen Momente! Slyman kam es vor, als gehörten sie einer Epoche an, die seit vielen Jahrhunderten vergangen war, als wären sie längst überwundene Sorgen, über die man jetzt lachen konnte. Er fühlte, wie die Freude sich in seiner Brust Bahn brach, wie sie unbedingt nach außen dringen wollte. Jetzt würden die Nächte nicht mehr so finster sein. Nun würden alle wieder ruhig schlafen können.
    Und wenn man bedachte, dass das alles erst zehn Tage her war. Als er von Syrkun aufgebrochen war, hatte er den Tod schon vor Augen, überzeugt, dass er nie dorthin zurückkehren würde, jedoch entschlossen, eher zu sterben, als das Ende des Königreiches und der Ewigen mit ansehen zu müssen. Die Spuren, die Lyannen auf seinem Weg hinterlassen hatte, ließen sich noch deutlich erkennen. Er war ihnen gefolgt und hatte sein Pferd wie ein Wahnsinniger angetrieben, immer in der verzweifelten Hoffnung, dass er nicht zu spät kommen möge - obwohl er nicht wusste, wie er seinem Freund helfen konnte. Die blaue Steinschlange, die ihm Theresian gegeben hatte, hing gut sichtbar im Zaumzeug. Slyman konnte zwar den Anhänger des Einsamen nicht umklammern, um sich Mut zu machen, doch es genügte ihm, dass er seine beruhigende Wärme auf der Haut spürte. Er wusste, dass sein Herr ihn in Syrkun erwartete, gemeinsam mit dem kranken Sire, der wahrscheinlich mit dem Tode rang, und mit dem gesamten Heer der Ewigen. Und er hatte ihnen versprochen, als Sieger zurückzukehren oder gar nicht.
    Er sah die Schlange an, die im Rhythmus seines stürmischen Galopps hin und her baumelte, und wartete auf irgendein Zeichen von Lyannens Anwesenheit.Vergeblich. Seit einiger Zeit waren seine Spuren verschwunden, seit er den ausgedörrten, rissigen Boden am Rand der Ödnis erreicht hatte, aber er konnte nicht anders, er musste vorwärts und hoffen, dass es der richtige Weg sei. Er hatte nur Hoffnungen, auf die er bauen, und kaum Sicherheiten, mit denen er rechnen konnte. Sogar die Schlange an
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