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Gefaehrliches Verlangen

Gefaehrliches Verlangen

Titel: Gefaehrliches Verlangen
Autoren: Anna Zaires
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einmal die gleichen Schmerzen zufügen, erneut sein Leben zerstören.
     
    * * *
     
    Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. Bitte, bitte, bitte, ich will nicht sterben .
    Diese Worte wiederholten sich immer und immer wieder in ihrem Kopf, ein hoffnungsloses Gebet, welches wohl niemals erhört werden würde. Ihre Finger rutschten noch ein Stück weiter von dem Holzbrett herunter und ihre Nägel brachen bei dem Versuch ab, auf keinen Fall loszulassen.
    Emily Ross hing im wahrsten Sinne des Wortes an ihren Fingernägeln von einer kaputten alten Brücke. Hunderte von Metern unter ihr floss ein Bergbach, der durch die jüngsten Regenfälle so stark angeschwollen war, dass sein Wasser geradezu über die Felsen schoss.
    Diese Regenfälle waren auch teilweise dafür verantwortlich, dass sie sich jetzt in dieser heiklen Lage befand. Wenn das Holz der Brücke trocken gewesen wäre, wäre sie vielleicht nicht ausgerutscht und hätte sich dabei auch nicht ihren Fuß verknackst. Und sie wäre ganz bestimmt nicht auf das Geländer gefallen, das unter ihrem Gewicht zusammengebrochen war.
    Im letzten Augenblick hatte sie sich gerade noch verzweifelt festhalten können und somit ihren tödlichen Absturz verhindert. Während sie schon fiel, bekam ihre rechte Hand einen kleinen Übersprung am Rand der Brücke zu fassen und jetzt hing sie in der Luft, einige hundert Meter über dem harten Felsen .
    Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. Bitte, bitte, bitte, ich will nicht sterben .
    Das war nicht fair. So war das nicht geplant. Das war ihr Urlaub, ihre Zeit den Kopf freizubekommen. Sie konnte jetzt nicht sterben. Sie hatte doch noch gar nicht angefangen zu Leben.
    Bilder der letzten zwei Jahre schossen ihr durch den Kopf, so wie die Power Point Präsentationen, mit deren Erstellung sie so viel Zeit verbracht hatte. Bis in die Nachtstunden hinein und selbst an den Wochenenden war sie im Büro gewesen und hatte gearbeitet — und es war alles für umsonst gewesen. Sie hatte ihren Job während der Entlassungswellen verloren und jetzt passierte auch noch das gleiche mit ihrem Leben .
    Nein, nein, nein!
    Ihre Beine ruderten und ihre Nägel gruben sich tiefer in das Holz. Sie streckte ihren anderen Arm nach oben zur Brücke hin aus. Das würde ihr nicht passieren. Sie würde das nicht zulassen. Sie hatte zu hart dafür gearbeitet, um sich jetzt von diesem blöden Dschungel schlagen zu lassen.
    An ihrem Arm floss Blut herunter, als das raue Holz die Haut von ihren Fingern schürfte, aber sie ignorierte die Schmerzen. Ihre einzige Chance zu überleben war, mit ihrer freien Hand die gegenüberliegende Seite der Brücke zu greifen und somit die Möglichkeit zu haben, sich wieder hochzuziehen. Es gab hier niemanden, der ihr helfen konnte, niemanden, der sie retten würde, wenn sie es nicht selber tat.
    Als sich Emily zu dieser Reise entschlossen hatte war es ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie allein im Regenwald sterben könnte. Sie ging häufig wandern und campen. Selbst nach den letzten zwei Jahren, die sie durch die Hölle gegangen war, war sie immer noch in Form, stark und fit vom Laufen und den ganzen anderen Sportarten, die sie in Highschool und College ausgeübt hatte. Costa Rica war bekannt dafür, ein sicheres Reiseziel mit einer niedrigen Kriminalitätsrate und einer touristenfreundlichen Bevölkerung zu sein. Außerdem war es billig — ein wichtiges Kriterium bei ihrem rapide schwindenden Sparkonto.
    Sie hatte diesen Urlaub davor gebucht. Bevor der Markt wieder eingebrochen war, bevor eine weitere Entlassungswelle kam, die Tausende von Wall Street Angestellten ihren Job gekostet hatte. Bevor Emily am Montag zur Arbeit gegangen war, übernächtigt von der ganzen Wochenendarbeit, nur um am gleichen Tag das Büro mit einem kleinen Karton zu verlassen, in dem sich alle ihre privaten Sachen befanden. Bevor ihre Beziehung nach vier Jahren zerbrochen war.
    Ihr erster Urlaub nach zwei Jahren und sie würde sterben.
    Nein, so darfst du das nicht sehen. Das wird nicht passieren.
    Aber Emily wusste, dass sie sich gerade selber belog. Sie merkte, wie ihre Finger immer mehr den Halt verloren und ihre rechter Arm sowie die dazu gehörige Schulter von der Anstrengung brannten, das Gewicht ihres ganzen Körpers halten zu müssen. Ihre linke Hand war nur ein paar Zentimeter davon entfernt, die andere Seite der Brücke greifen zu können, aber diese Zentimeter fühlten sich wie Meter an. Sie hatte aber auch nicht genug Halt, um
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