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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis
Autoren: Anne Perry
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wäre.
    »Ich nehme an, du hast sie direkt gefragt, was sie quält?«, sagte sie leise.
    »Sie sagt, es sei alles in Ordnung«, antwortete er. »Sie wechselt das Thema, spricht über irgendetwas, meistens über Dinge, die weder sie noch mich interessieren, einfach irgendetwas. Sie baut eine Mauer von Worten auf, um mich auf Abstand zu halten.«
    Es war, als würde man eine Wunde untersuchen, besorgt, keinen Nerv zu treffen, und gleichzeitig zu wissen, dass man die Kugel finden musste. Hester hatte das auf Schlachtfeldern und in Lazaretten unzählige Male getan. Sie roch Blut und spürte Angst, als ihr die Ähnlichkeit bewusst wurde. Erst vor einigen Monaten waren Monk und sie in Amerika gewesen und Zeugen der ersten Feldschlacht des Bürgerkrieges geworden.
    »Hast du wirklich keine Ahnung, was der Grund ist, Charles?«, fragte sie.
    Er hob unglücklich den Blick. »Ich fürchte, sie könnte eine Affäre haben«, antwortete er heiser. »Aber ich habe keine Ahnung, mit wem … oder warum?«
    Hester konnte sich leicht ein Dutzend Gründe vorstellen. Sie sah Imogens hübsches Gesicht vor sich mit seinen weichen Zügen, großen, dunklen Augen und dem Lebenshunger und den Gefühlen darin. Wie sehr hatte sie sich in den sechzehn Jahren verändert, seit sie so begeistert gewesen war, einen liebenswürdigen jungen Mann mit einer viel versprechenden Zukunft zu heiraten? Sie war voller Optimismus gewesen, entzückt, dass sie nicht zu denjenigen gehörte, die immer noch verzweifelt nach einem Ehemann suchten oder vielleicht von einer ehrgeizigen Mutter mit jemanden verheiratet wurden, den zu mögen, geschweige denn zu lieben, ihr schwer fallen würde.
    Jetzt war sie Mitte dreißig und kinderlos und fragte sich verzweifelt, ob das Leben – abgesehen von Sicherheit – noch etwas zu bieten hatte. Sie hatte nie gefroren oder Hunger gelitten oder war nie aus der Gesellschaft ausgestoßen gewesen. Vielleicht achtete sie ihr Glück nicht sehr hoch. Geliebt, versorgt und beschützt zu werden war oft nicht genug. Manchmal war es wichtiger, gebraucht zu werden. War Imogen so etwas widerfahren? Hatte sie jemanden kennen gelernt, der ihr das Gefühl gegeben hatte, dass er sie brauchte, und zwar auf eine Weise, wie Charles es nie sagen würde, ganz egal, wie wahr es auch sein mochte?
    Würde sie sich auf mehr einlassen als auf einen Flirt? Sie hatte sehr viel zu verlieren – sie konnte unmöglich so verblendet sein, das zu vergessen? Die Gesellschaft missbilligte Ehebruch nicht, wenn er mit so viel Diskretion begangen wurde, dass niemand gezwungen war, ihn zur Kenntnis zu nehmen, aber wenn sie indiskret war, konnte auch eine verheiratete Frau ihren guten Ruf verlieren. Und eine geschiedene Frau hörte, egal, aus welchem Grund sie geschieden wurde, auf zu existieren. Eine Frau, die wegen Ehebruchs verlassen wurde, konnte
    sich leicht ohne einen Pfennig Geld auf der Straße wiederfinden. Jemand wie Imogen, die nie für sich selbst gesorgt hatte, würde das vielleicht nicht überleben.
    Charles würde sich nicht von ihr scheiden lassen, solange ihr Verhalten nicht so empörend war, dass er keine andere Wahl hatte, wenn er seinen eigenen Ruf wahren wollte. Er würde einfach Seite an Seite mit ihr leben, getrennt durch einen Abgrund aus Schmerz.
    Hester hätte ihn gerne berührt, aber der Abstand zwischen ihnen war zu groß. Es wäre künstlich, vielleicht sogar aufdringlich.
    »Das tut mir Leid«, sagte sie leise. »Ich hoffe, du irrst dich. Vielleicht ist es nur eine vorübergehende Sache, die wieder einschläft, bevor mehr daraus wird.« Wie falsch das klang. Sie zuckte bei ihren eigenen Worten zusammen.
    Er blickte zu ihr auf. »Ich kann nicht einfach nur dasitzen und hoffen, Hester! Ich muss es wissen … und etwas tun. Begreift sie nicht, was mit ihr – mit uns allen – passiert, wenn sie erwischt wird? Bitte … bitte hilf mir!«
    Hester war verdutzt. Was konnte sie tun, was Charles nicht längst getan hatte? Gegen Unglück gab es keine einfache Arznei, die sie herstellen und Imogen einflößen konnte.
    Charles wartete. Ihr Schweigen machte ihm eindringlich bewusst, um was er sie gebeten hatte, und schon wurde die Verlegenheit stärker als die Hoffnung.
    »Ja, natürlich«, sagte sie schnell.
    »Wenn ich nur Gewissheit hätte«, fing er an zu erklären und füllte die Stille mit zu vielen Worten, »vielleicht würde ich sie dann verstehen.« Er sah Hester aufmerksam an, ein Teil von ihm hielt unwillkürlich an der Hoffnung fest, dass
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