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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis
Autoren: Anne Perry
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ganzen Tag um jemanden gekümmert?«
    »Ja, aber ich denke, dass es ihr wieder besser geht. Zumindest war die Operation erfolgreich.«
    Er versuchte ein Lächeln. »Gut.«
    »Möchtest du eine Tasse Tee?«, fragte sie ihn. »Ich würde gerne eine trinken.«
    »Oh … ja, ja, natürlich. Danke.« Er setzte sich behutsam in einen der beiden Lehnstühle, steif und aufrecht, als sei es ihm unmöglich, sich zu entspannen. Sie hatte viele Mandanten von Monk auf diese Weise dasitzen sehen, voller Angst, ihre Sorgen in Worte zu fassen, und doch sehr belastet damit, suchten sie so verzweifelt nach Hilfe, dass sie schließlich den Mut gefunden hatten, einen Privatermittler zu konsultieren. Charles machte den Eindruck, als wäre er gekommen, um Monk zu sehen und nicht sie. Sein Gesicht war blass und von einem leichten Schweißfilm überzogen, und seine Hände, die er im Schoß hielt, waren verkrampft. Hätte sie ihn berührt, hätte Hester seine angespannten Muskeln gespürt.
    Sie hatte ihn nicht mehr so unglücklich gesehen, seit ihre Eltern vor fünfeinhalb Jahren gestorben waren und sie mit Florence Nightingale in Scutari gewesen war. Ihr Vater
    war durch einen Finanzschwindel ruiniert worden und hatte sich wegen der Schande das Leben genommen. Ihre Mutter war ihm im gleichen Monat ins Grab gefolgt. Sie hatte ein schwaches Herz gehabt, und so kurz nach dem Verlust ihres jüngeren Sohnes im Krieg waren der Kummer und die Sorgen zu viel für sie gewesen.
    Als Hester Charles jetzt anschaute, kehrten ähnliche Ängste um ihn mit einer Macht zurück, die sie überraschte. Sie hatten sich seit Hesters Heirat, die zu akzeptieren ihm schwer gefallen war – denn Monk war ein Mann ohne Vergangenheit –, nur sehr selten gesehen. Ein Kutschenunfall vor sechs Jahren hatte Monk seiner Erinnerung beraubt. Vieles hatte er schlussfolgern können, aber der größte Teil seines Lebens blieb im Dunkeln. Und niemand in der angesehenen Familie Latterly hatte bis dato Beziehungen zur Polizei gehabt, bei der Monk zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens gearbeitet hatte; und zweifellos war niemand eine Ehe mit jemandem einge- gangen, der einen solchen sozialen Hintergrund hatte.
    Charles hob den Blick. Er erwartete, dass sie den Tee zubereitete. Sollte sie ihn fragen, was ihm derart auf der Seele lag, oder wäre das taktlos und würde sein Vertrauen zu ihr zerstören?
    »Natürlich«, sagte sie forsch und ging in die kleine Küche, um die alte Asche im Herd zu entfernen, frische Kohlen aufzulegen und Wasser aufzusetzen. Sie legte Kekse auf einen Teller. Sie waren gekauft, nicht selbst gebacken. Hester war eine ausgezeichnete Kranken- schwester, eine leidenschaftliche, wenn auch erfolglose Sozialreformerin und, was selbst Monk zugeben würde, eine ziemlich gute Detektivin, aber ihre häuslichen Fähigkeiten waren nicht besonders entwickelt.
    Als der Tee fertig war, kehrte sie ins Vorderzimmer zurück und stellte das Tablett ab, schenkte zwei Tassen ein
    und wartete, während er eine Tasse nahm und einen Schluck daraus trank. Seine Verlegenheit schien sich im Raum breit zu machen und führte dazu, dass auch Hester unbehaglich zu Mute wurde. Sie sah zu, wie er mit der Tasse herumhantierte und sich in dem kleinen, freundlichen Zimmer umschaute und nach etwas suchte, auf das er seine Aufmerksamkeit richten konnte.
    Würde sie es besser oder schlimmer machen, wenn sie ihn ganz offen fragte? »Charles …«, setzte sie an.
    Er drehte sich um und sah sie an. »Ja?«
    Sie sah in seinen Augen, dass er zutiefst unglücklich war. Er war nur wenige Jahre älter als sie, und doch strahlte er eine Müdigkeit aus, als besäße er keine Lebens- kraft mehr und hätte das Gefühl, seine besten Zeiten lägen schon hinter ihm. Das erfüllte sie mit Sorge. Sie musste behutsam vorgehen. Er war viel zu kompliziert, viel zu verschlossen für allzu große Offenheit.
    »Ich … ich habe dich eine ganze Weile nicht gesehen«, fing er mit einer Entschuldigung an. »Das war mir gar nicht bewusst. Die Wochen scheinen so …« Er wandte den Blick ab, suchte nach Worten und verlor den Faden.
    »Wie geht’s Imogen?«, fragte sie und wusste augen- blicklich, dass die Frage ihm wehtat, denn er wich ihrem Blick aus.
    »Ziemlich gut«, antwortete er. Die Worte klangen mechanisch, munter und bedeutungslos, als würde er einem Fremden antworten. »Und William?«
    Hester ertrug es nicht länger. Sie stellte ihre Tasse ab.
    »Charles, irgendetwas ist nicht in Ordnung. Bitte, sag mir, um was es
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