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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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Insel nur schlechte Erinnerungen. Meistens ignorierte sie die Nachbarn und tat so, als existierten sie nicht, eine Methode, die sich auf alle unangenehmen Aspekte des Lebens anwenden ließ.
    Sie warf einen Blick zurück auf den Weg, den sie gekommen war, und drehte sich zum nördlich gelegenen Haupthaus um. Vom Bootsanleger führte ein schmaler Kiesweg hinauf und weiter bis zum Gästehaus und endete schließlich vor einer Hütte. Birdie konnte weit und breit niemanden sehen, keinen Verfolger oder Eindringling. Über dem Festland brauten sich Gewitterwolken zusammen.
    Auf den meisten Nachbarinseln standen Ferienhäuser. Obwohl die Hotels und Gasthöfe einen Fährservice zum Festland anboten, gab es kein Wassertaxi. Wollte man zu einer der Privatinseln übersetzen, brauchte man ein eigenes Boot.
    In der letzten Zeit war es vermehrt zu Einbrüchen gekommen. Viele Inselhäuser waren die meiste Zeit des Jahres unbewohnt, was einigen kriminellen Elementen nicht entgangen war. Die Leute kamen mit Booten, brachen in die Häuser ein, stahlen Wertsachen, zerstörten die Inneneinrichtung und nisteten sich manchmal tagelang ein, um hemmungslose Partys zu feiern. Als Birdie davon erfahren hatte, hatte sie sich furchtbar aufgeregt. Es war so typisch. Der wütende Mob lauerte nur darauf, zu stehlen und zu zerstören, wofür andere hart gearbeitet hatten. Immer gab es jemanden, der schlechter gestellt war als man selbst, der einen voller Missgunst beobachtete und nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, sich fremde Besitztümer anzueignen. Scheinbar kamen die Leute heutzutage damit durch.
    Eine Woche nachdem sie von den Einbrüchen erfahren hatte, war Birdie in die Stadt gefahren, um einen kleinen Revolver zu kaufen. Sie war oft auf der Insel allein. Joe gefiel es hier nur halb so gut wie ihr, und sobald er von der Stille und Einsamkeit genug hatte, kehrte er in ihre Stadtwohnung zurück. Oder langweilte ihn ihre Gesellschaft? Immerhin gehörte die Insel Birdie. Seit drei Generationen befand sich Heart Island in Familienbesitz. Anders als Birdie hatte Joe nicht jeden Sommer seiner Kindheit hier verbracht. Warum sollte sie sich auf der Insel fürchten? Sie bemitleidete jeden, der sie zu überfallen plante. Der Revolver lag in einer Schatulle im Küchenschrank, und wenn Birdie über Nacht allein war, legte sie ihn auf ihren Nachttisch.
    Mit schnellen Schritten umrundete Birdie die ganze Insel, bis sie den höchsten Punkt erreicht hatte. Die Kinder der Familie Heart – Birdie, Caroline und Gene – hatten ihn den »Aussichtsfelsen« getauft. Von hier oben überblickte man die nur drei Morgen große Insel mit ihren drei zwischen Felsen und Bäumen kauernden Gebäuden.
    Der Kiesweg, der von der Hütte über das Gäste- und das Haupthaus zum Anleger führte, wurde durch in Bodennähe angebrachte Solarleuchten schwach erhellt. Früher hatte hier nur ein einziges Gebäude gestanden, das heutige Gästehaus. Damals hatte es keinen Pfad zwischen Haus und Anleger gegeben, so dass jeder seinen eigenen Weg zwischen Felsen und Bäumen finden musste. Inzwischen hielten sich alle Besucher auf dem sicheren Kiesweg, besonders in stockdunklen Nächten.
    Während sie von ihrem Aussichtsposten hinunterschaute, musste Birdie einsehen, dass ihre Augen sie, auch wenn es kaum zu glauben war, getäuscht hatten. Sie konnte nirgendwo ein Boot entdecken, weder am Ufer noch auf dem Wasser. Und einen anderen Weg gab es nicht. Die Logik sagte ihr, dass sie einem Trugbild aufgesessen war. Das nächste Mal würde sie ihre Brille mitnehmen oder sich vor dem Schwimmen Kontaktlinsen einsetzen.
    Ihre verstorbene Schwester Caroline wäre der Meinung gewesen, Birdie hätte einen Geist gesehen. Birdies Schwester und auch ihre Mutter Lana waren überzeugt gewesen, dass die Insel übersinnliche Bewohner beherbergte. Sie hatten einen Mann auf den Klippen und eine Frau oben auf dem Aussichtsfelsen gesehen. Und noch jemanden, an den Birdie sich in diesem Moment nicht erinnern konnte. Das war albern. Birdie hatte nie etwas beobachtet. Laut Carol erschrecke Birdies zynische, pragmatische Art die Geister. Birdie konnte zwar nicht erklären, was sie da eben beobachtet hatte, aber auf keinen Fall hielt sie die Erscheinung für übersinnlich. Sie machte sich Sorgen um ihr Sehvermögen und um ihren Verstand, aber Angst vor Gespenstern hatte sie nicht.
    Birdie lief weiter, bis sie ihren Ausgangspunkt erreicht hatte. Die Bäume ragten wie ein dunkler, verschwommener Streifen in die
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