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Gebrochen

Gebrochen

Titel: Gebrochen
Autoren: Jeany Lena
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als er fragte: „Hab ich mich jemals bedankt, dass du mich dort weggeholt hast?“
    „Jeden Tag wenn du mich ansiehst. Mit jedem Stück, das du mir mehr vertraut hast. Mit jeder Handlung, die dir dein Selbstwertgefühl zurückgegeben hat“, erwiderte ich leise. Er blickte mich erstaunt, mit Tränen in den Augen an.
    „Das kann ich dir niemals zurück geben“, flüsterte er.
    „Doch. Mit jedem Stück, das du mir vertraust. Mit jedem Moment, den du an meiner Seite bist. Mit jedem deiner Blicke, die mehr sagen, als jedes Wort“, sagte ich ihm. Absolute Fassungslosigkeit sprach aus seinem Blick. Ich lächelte ihn verliebt an.
    „Ich würde dich am liebsten einfach hier an mich drücken und nie wieder loslassen. Ich würde dir am liebsten deine Erinnerungen wegnehmen, damit du nicht mehr leidest. Ich will einfach, dass du glücklich bist. Vorzugsweise mit mir“, erklärte ich weiter.
    „Du bist einfach fantastisch“, hauchte er und küsste mich noch einmal. Dann legte er den Kopf auf meine Brust und holte tief und zittrig Luft. Schweigend lagen wir da. Ich genoss einfach, dass er endlich hier neben mir lag, so wie ich es mir von Anfang an vorgestellt hatte.
    Wir blieben noch eine Weile so, bevor wir uns aufrafften. Leon ging nun endlich duschen und ich richtete das Frühstück. Den ganzen Tag machten wir es uns gemütlich, wobei sich Leon sogar an mich lehnte, als wir gemeinsam auf dem Sofa saßen. Ich hingegen konnte den ganzen Tag nur selig vor mich hin grinsen, was ihm hin und wieder ein Kichern entlockte.
    „Sorry, echt“, sagte ich irgendwann, „Aber es ist einfach so verdammt gut, wenn du so nah bei mir bist.“
    Er nickte und lehnte sich an mich, wie schon mehrmals heute.
    „Das ist so ein Gefühl. Ich weiß nicht einmal, wie ich es sagen soll. So sicher, so …“
    „… geborgen?“, half ich ihm aus.
    „Ja, genau“, seufzte er. Er schwieg eine Weile und fragte dann: „Weißt du woran mich das erinnert?“
    Ich schüttelte nur den Kopf, nicht sicher, ob ich heute wirklich in seiner Vergangenheit wühlen wollte. Dafür war der Tag einfach zu schön. Andererseits war ich natürlich gerne für ihn da, wenn er reden wollte. Früher oder später, so fürchtete ich, würde er darüber reden müssen. War das nicht notwendig, damit er damit fertig werden konnte? Oder war das nur so daher geredet von Leuten, die es selbst nicht besser wussten?
    „Daran, dass meine Mutter das früher auch gemacht hat. Jetzt weiß ich es wieder. Im Bad, in der Früh, da ist es mir nur nicht eingefallen. Da hatte ich einfach nur das Gefühl, etwas lange Vermisstes wieder gefunden zu haben“, erklärte er. Ich strich über seinen Rücken, um die Erinnerung vielleicht ein wenig erträglicher zu machen.
    „Ich hab auch nicht mehr daran gedacht, wie toll meine Kindheit war“, fuhr er fort. Ich sagte lieber nichts dazu. Eine schöne Kindheit endete nicht, wenn man neun wurde.
    „Ich habe die Kinder bemitleidet, die nicht so viel Platz zum Spielen hatten. Unsere wilden Gärten waren einfach super. Da hat es niemanden gekümmert, ob wir mal wo einen Ast abgebrochen haben oder so. Nie hat uns wer vertrieben. Und wir konnten auch laut sein, ohne dass sich jemand beschwert hat“, erzählte er.
    „Klingt gut. Wir hatten nur diesen armseligen Spielplatz, wo die Hälfte kaputt war und die andere Hälfte meist von den Großen mit Beschlag belegt worden ist“, meinte ich schmunzelnd.
    „Ja, da hab ich mir oft gedacht, was sind schon ein paar alte Klamotten und ein strenger Vater gegen die Freizeit in Freiheit“, murmelte er.
    „Mhm“, stimmte ich zu.
    „Aber dann bin ich ins Zimmer gekommen. Das war der Anfang. Dabei wollte ich doch nur etwas trinken“, murmelte er. Ich schluckte schwer und strich wieder über seinen Rücken. Es war, als wäre ein Damm in seinem Inneren gebrochen. Es war, als könnte er nicht mehr aufhören zu sprechen.
    „Mein Vater hat mich gezwungen, meine Mutter zu befriedigen. Mit dem Mund. Es war so ekelhaft.“
    Ein Schauer fuhr durch seinen Körper.
    „Das nächste Mal war er dran. Das war noch widerlicher.“
    Ich musste zugeben, dass ich erleichtert war, dass er innehielt. Ich musste zugeben, dass ich hoffte, dass er nicht weiter sprach. Dafür begann er leicht zu zittern und nicht viel später schluchzte er. Er drückte sein Gesicht an meine Brust. Wenigstens konnte ich ihn jetzt festhalten und ihm tröstend über den Rücken streichen. Leon klammerte sich an mich, krallte seine Finger in mein
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