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Gebrochen

Gebrochen

Titel: Gebrochen
Autoren: Jeany Lena
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Ich wehrte die Fragen mit einem Schulterzucken ab. Ich wusste ja selbst nicht so genau, was ich mir dabei gedacht hatte.
    Und dann brachte er mich total aus der Fassung. Kurz bevor die Freistunde zu Ende war, tippte mir vorsichtig jemand an die Schulter. Ich wandte nur den Kopf, sah, dass es Leon war und drehte mich zu ihm um. Die fragenden und abwertenden Blicke meiner Freunde ignorierte ich vorerst einmal. Darum würde ich mich später kümmern.
    „Was gibt`s?“, wollte ich wissen. Wortlos hielt er mir zwei Euro und ein paar Cent hin. Das Restgeld, wie es schien.
    „Schon ok. Für morgen“, wehrte ich ab. Ich hatte genug Geld, da waren die paar Euro drin. Leon rührte sich einen Moment gar nicht, dann schien er sich zu überwinden und hob den Kopf. Er blickte mir direkt in die Augen. Es waren nur wenige Sekunden, bevor er den Kopf wieder senkte, doch ich streckte automatisch die Hand aus und nahm das Geld. Wortlos wandte er sich ab, doch ich stand noch immer da. Fassungslos.
    In seinem Blick lag der pure Schmerz, die pure Verzweiflung, die pure Hoffnungslosigkeit. Erschüttert stand ich da, blickte ihm nach, wie er im Schulgebäude verschwand. Ich konnte noch immer nicht fassen, dass ein Blick so viel Qual ausdrücken konnte. Ich wollte nicht wissen, was genau mit ihm los war. Denn es war zweifellos schlimm, was auch immer er erlebt hatte. Sein Verhalten hatte plötzlich eine ganz neue Bedeutung für mich. Er hatte sich zurückgezogen, weil er litt, ganz klar.
    Die Stimmen meiner Freunde rissen mich aus meiner Starre, doch ich wandte mich ihnen nicht zu. Ich würde ihren Fragen nicht entkommen. Nicht auf Dauer. Doch im Moment war ich viel zu aufgewühlt, als dass ich hätte reagieren können.

    ***

    Von diesem Tag an, hatte ich ihn genauer im Blick. Es fiel mir erst nach Tagen auf, doch irgendwie blickte ich immer zuerst zu ihm, wenn ich auf den Pausenhof kam. Es war, als wollte sich mein Unterbewusstsein versichern, dass er noch da war. Irgendwie wuchs in mir das Bedürfnis, dass ich ihm helfen wollte. Auch wenn meine Freunde verächtlich meinten, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Mit seinem Verhalten so meinten sie, hätte er nichts Anderes verdient, als dass er alleine blieb.
    Doch meine Freunde hatten nicht in seine Augen gesehen. Meine Freunde waren außerdem intolerant. Eine Eigenschaft, die ich schon öfter an ihnen festgestellt hatte.
    Nach einer Woche fasste ich den Entschluss, es zu wagen. Was immer er erlebt hatte, jeder Mensch brauchte Freunde. Ich wollte dieser Freund sein. Zumindest wollte ich es ihm anbieten. Vielleicht lagen ja meine Freunde richtig und er wollte das gar nicht. Doch es unversucht zu lassen, hätte mir nur ein schlechtes Gewissen gemacht. Also überlegte ich, wie ich ihn ansprechen könnte. Einfach hingehen und fragen wie´s ihm ging. Eine typische Smalltalk-Frage eben. Nicht sehr einfallsreich, aber das musste ja nicht sein. In der Freistunde holte ich mir also mein Essen beim Buffet und ging dann zu ihm. Ein wenig unbeholfen fühlte ich mich schon, als ich da vor ihm stand. Auf mein „Hi“, reagierte er gar nicht. Auf meine Frage schüttelte er nur den Kopf, ohne ihn zu heben.
    „Hunger?“, fragte ich daher, weil ich mir gerade wie ein Vollidiot vorkam. Das hatte er das letzte Mal wenigstens angenommen. Fast panisch war sein Kopfschütteln diesmal, doch sein Magen knurrte. Ich reichte ihm kurzerhand, was ich mir eben gekauft hatte, doch er schüttelte wieder den Kopf. Wie konnte man nur so stur sein?
    Ich griff einfach nach seiner Hand und drückte ihm meine Wurstsemmel hinein. Vollkommen willenlos ließ er es geschehen. Ich hingegen wandte mich um und ließ ihn alleine. Das war wohl vielleicht doch keine so gute Idee gewesen. Kaum war ich bei meinen Freunden angelangt, fragten sie, was das sollte. Wie die letzten Male zuckte ich nur die Schultern. Sie würden es ohnehin nicht verstehen.

    Ich behielt ihn weiterhin im Auge. Jedes Mal wenn ich den Hof betrat. Die Bemerkungen meiner Freunde ignorierte ich. Sie hielten mich für bescheuert, weil es mir wichtig war. Weil es mich überhaupt kümmerte. Doch mit jedem Tag stieg das Bedürfnis, ihm zu helfen. Drei Tage später war es, als er kurz zu mir sah. Es war nur ein kurzes Heben des Kopfes und ein Schweifen seines Blickes, bis er mich erreicht hatte. Dann senkte er den Kopf wieder. Das war immerhin eine Reaktion von ihm, mehr als ich jemals von ihm gesehen hatte. Kurz entschlossen wickelte ich die Frischhaltefolie
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