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Gebrochen

Gebrochen

Titel: Gebrochen
Autoren: Jeany Lena
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Clique das Maul über den Neuen.
    „Na hör mal. Aber es stimmt doch“, verteidigte sich Nina.
    „Das kannst du doch gar nicht wissen“, mahnte ich sie. Sie hatte immerhin noch kein Wort mit ihm gewechselt, also konnte sie auch nicht beurteilen, ob er geistig normal war, oder nicht.
    „Du verteidigst ihn ja nur, weil du sein Gesicht süß findest“, trumpfte mein bester Freund auf. Darauf konnte ich nur schwach grinsen. Es lief immer darauf hinaus, dass sie mich damit aufzogen, dass ich schwul war. Außer natürlich, es ging um Mädchen. Da drehte ich den Spieß gnadenlos um. Abgesehen davon, hatte er mit dieser Aussage genau ins Schwarze getroffen. Allerdings traf das auch auf sein Gesicht zu, was ich ihm natürlich niemals gesagt hatte und bestimmt nicht tun würde. Ich wollte schließlich nichts provozieren.

    ***
    Drei Wochen waren vergangen, seit der Neue für frischen Wind in der Gerüchteküche gesorgt hatte. Die Tuscheleien über ihn waren erstaunlich schnell verstummt. Vermutlich, weil man sich an sein Aussehen gewöhnt hatte. Sein Handeln brachte nichts Neues zu Tage, worüber man hätte reden können. Er sprach mit niemandem, sah niemanden an. Er wusste fast immer die richtige Antwort, wenn er im Unterricht aufgerufen wurde. Ende. Das war´s. Mehr gab es über ihn nicht zu sagen.
    Ich hatte zu Beginn geplant, ihn anzusprechen. Nicht nur, weil mir sein Gesicht gefiel. So oberflächlich war ich dann doch nicht. Aber es tat sicher gut, wenn man angesprochen wurde, wenn man neu in einer Schule war. Noch dazu wenn man mitten im Jahr wechseln musste. Allerdings zeigte mir sein Verhalten, so wie allen anderen, dass er mit niemandem zu tun haben wollte. Es war nicht einfach nur Schüchternheit, wie ich zu Beginn noch gedacht hatte. Wenn es das gewesen wäre, hätte er hin und wieder den Blick gehoben. Er hätte sich verstohlen umgesehen. Doch das tat er nicht. Niemals. Es war als würde alles an ihm schreien: Bleib mir ja vom Leib.
    Also hatte ich ihn nicht angesprochen. Auch beachtete ich ihn genauso wenig, wie alle anderen aus meiner Clique. Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich ihn nach gut einer Woche irgendwie vergessen. Was nicht verwunderlich war, da er ja keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zog.
    Auf jeden Fall war ich richtig erstaunt, als ich auf die Toilette ging und er da stand. Was eigentlich eine dämliche Reaktion war. Ich ließ mir natürlich auch nichts anmerken, abgesehen davon, dass der Druck auf meiner Blase ziemlich groß war. Ich beachtete ihn also nicht weiter und erleichterte mich. Allerdings warf ich ihm dann doch einen Blick zu, als sein Magen lautstark knurrte. Ich wollte schon einen Kommentar dazu abgeben, als er seine freie Hand auf den Bauch drückte und sich sein Gesicht einen Augenblick schmerzhaft verzog. Schnell wandte ich den Blick ab, als mir bewusst wurde, dass er wirklich richtigen Hunger haben musste. Doch immerhin war Freistunde und das Buffet aufgebaut. Es gab zwar nur verschiedene Gebäckarten mit Wurst oder Käse, doch ich wusste aus Erfahrung, dass diese nicht nur gut, sondern auch sättigend waren.
    Ohne weiter auf Leon zu achten, wusch ich mir die Hände und verließ die Toilette. Zielsicher steuerte ich meine Clique an, als ich hinter mir erneut dieses Grummeln hörte. Verblüfft wandte ich mich um. Bis dahin hatte ich nicht einmal gewusst, dass Magenknurren so laut sein konnte!
    Es kam tatsächlich von Leon, der direkt hinter mir war. Doch er hatte nichts zu essen in der Hand, dafür hätte die Zeit gar nicht gereicht. Er war scheinbar auf dem Weg zu dem Platz, an dem er, seit dem ersten Tag hier, immer alleine stand. Es war irgendwie ein Impuls, den ich befolgte, als ich ihn ansprach.
    „Leon?“, hielt ich ihn auf, gerade als er an mir vorbei wollte. Er hielt an und wandte sich mir zu, wobei er mich nicht ansah. Doch das war mir egal. So wie seine Klamotten aussahen nahm ich einfach an, dass er kein Geld für Essen hatte, auch wenn ich mir das nicht wirklich vorstellen konnte. Noch während ich ihn angesprochen hatte, hatte ich in meine Hosentasche gegriffen und einige Münzen heraus genommen. Vier Euro drückte ich ihm in die Hand.
    „Kauf dir was zu essen“, sagte ich und ging. Er war ganz sicher zu verblüfft, um irgendwie zu reagieren. Wäre ich an seiner Stelle zumindest gewesen. Doch ich dachte nicht weiter darüber nach, sondern stellte mich zu meinen Freunden. Diese hatten das scheinbar gesehen, denn die Neugier stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
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