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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland
Autoren: Elke Kößling
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ein Motel. Vor zwei Jahren wurde es durch einen Anbau fast verdoppelt – also scheint es trotz horrender Preise erfolgreich zu sein. Dann kommt die eigentliche Raststätte: eine Trutzburg in McDonald’s-Architektur, bestehend aus diversen Fast-Food-Ketten, Spielhöllen und Toilettenanlagen von beeindruckender Größe und überraschender Sauberkeit. Menschenmassen schieben sich durch die Gänge, arbeiten sich durch Berge von Burgern und frittierten Hühnerteilen und hinterlassen noch größere Berge von Müll, die das ständig präsente, uniformierte Reinigungspersonal entsorgt. Manchen Familien gefällt es hier so, daß sie die Reading Service Station zum Ziel ihres Sonntagsausflugs deklarieren.
    Eigentlich fährt man aber auch nicht wegen der Raststätten und Autobahnen nach Südengland. Wenn schon Straße, dann bieten sich dem Reisenden, der Zeit mitbringt, mit den Landstraßen eine reizvolle Alternative. Während A-Roads sich noch als richtige Straßen verstehen und selbst B-Roads noch gewissen Ansprüchen gewachsen sind, die Landstraßen als Grundlage des Fernverkehrs sehen, wird es bei den C-Roads schon um einiges enger, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Da passen zwei entgegenkommende PKWs knapp aneinander vorbei. Wenn landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge entlangholpern, wird es mit dem Überholen schon kritischer, nicht zuletzt, weil sich die Straßen Kurve um Kurve winden und die knappen Geraden meist über eine schlecht einsehbare Hügelkuppe führen. Aber richtig englisch sind die country lanes, einspurige Landstraßen, bessere Feldwege (immerhin asphaltiert), die das ganze Land mit einem dichten Netz umspannen und im Falle von Gegenverkehr den Autofahrern gelegentlich ein kühnes Rückwärts-den-Berg-hoch-in-eine-Ausweichstelle-fahren abverlangen. Je weiter man nach Westen kommt, desto enger und malerischer werden sie. Einheimische schätzen sie als (im englischen Sinn) schnelle Querverbindungen über Land. Auf guten Landkarten sind diese lanes zwar noch verzeichnet, aber für jemanden, der sich in der Gegend nicht auskennt, bilden sie ein unübersichtliches Labyrinth. Die Hinweisschilder an den Weggabelungen helfen nur begrenzt bei der Orientierung.
    Im Exmoor gibt es eine Gegend, in der alle Schilder nach Cloutsham weisen. Man sollte meinen, es handele sich mindestens um eine ernstzunehmende Kleinstadt, die allerdings den Kartographen entgangen ist, ähnlich dem sagenhaften schottischen Brigadoon. Nachdem man Stunden über Stunden diesen Schildern gefolgt ist, entdeckt man plötzlich, daß die Schilder nach Cloutsham in die Gegenrichtung weisen. Von einer Stadt war keine Spur zu sehen, nur Schafe, Ponys und ein paar Kühe standen am Wegesrand. Wo aber war nun Cloutsham? Des Rätsels Lösung: Cloutsham ist ein einsam gelegenes, uraltes Farmhaus, das man von der Straße aus kaum sehen konnte. Am Haus selbst fehlt ein Hinweisschild – schließlich gibt es auch keinerlei Grund, an dieser Farm Station zu machen. Warum also die vielen Schilder? Das ist selbst Einheimischen ein ewiges Rätsel. Der West Somerset District Council ersetzt die altgewordenen Schilder gelegentlich durch neue, weiß aber auch nicht, warum und für wen dieser Hinweis eigentlich gedacht ist.
    Die Orientierung in den country lanes wird zusätzlich dadurch erschwert, daß endlose Hecken die Straßen säumen. Schaut man von oben auf Südengland, sieht man eine Landschaft, die einer Patchworkdecke gleicht. Die Farbe Grün dominiert, dazwischen Flecken fruchtbaren Brauns oder, im Westen, Rot, und alles ist verbunden durch die endlosen Hecken, die so typisch sind für England. Zigtausende Meilen säumen Straßen und Wege.
    Seit Jahrhunderten dienen sie der Abtrennung von Feldern und Weiden und als Windschutz für Mensch und Tier. Nachdem Farmer jahrelang Subventionen erhielten für die Entfernung von Hecken, werden sie nun finanziell dazu ermutigt, wieder Hecken zu pflanzen. Heutzutage stehen Hecken gesetzlich unter Schutz, die unerlaubte Entfernung kann teuer werden. Man hat erkannt, wie wichtig Hecken für das ökologische Gleichgewicht, für das Landschaftsbild und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sind. Wie man anhand der Ringe das Alter eines Baumstamms sehen kann, so läßt sich auch eine Hecke relativ einfach datieren, indem man zählt, wie viele Tierarten auf 30 Metern zu finden sind. In alten Hecken findet man außerdem mindestens fünf verschiedene einheimische Gehölze in einem 30-Meter- Abschnitt.
    Laying an hedge ist
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