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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland
Autoren: Elke Kößling
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Frauen, die das Haus besuchten, trugen lange Hosen und rauchten Zigarren, die Möbel waren ausgesuchte Antiquitäten. Dann kamen der Krieg und die Evakuierung aufs Land nach Sutton. Auch dieses Pfarrhaus aus dem 15. Jahrhundert stand voller wertvoller, alter Möbel, war ansonsten aber in einem eher beklagenswerten Zustand.
    Chris war in seinem Element: als Mann im Haus (der vicar hatte eher intellektuelle als praktische Fähigkeiten) organisierte er, was zu Kriegszeiten schwer zu bekommen war und rettete vom Müll, was zu retten war. 1946 starb der Pfarrer, und Chris und seine Mutter kehrten nach London zurück.
    Das Zwischenspiel in der Metropole dauerte nur drei Jahre, brachte Chris aber weitere wichtige Erfahrungen. Seine Mutter nahm eine Stelle in der anthroposophisch orientierten King Alfred Schule an und Chris bekam dort einen Freiplatz. Wieder war er umgeben von Künstlern (eine der Lehrerinnen war die Mutter des Jazz-Musikers Chris Barber), Intellektuellen und liberal-denkenden Menschen. Die Unterkunft von Mutter und Sohn in einem Zimmer mit Küchenzeile im Londoner Eastend war der krasse Gegensatz: von Antiquitäten keine Spur, hier hausten sie zwischen Apfelsinenkisten.
    So verlief das Leben von Chris geprägt von ständigen
    Gegensätzen, aber nie dem Schicksal ergeben. 1949 heiratete seine Mutter einen Farmer in Sutton. Wieder war kein Geld da, Möbel gab es auch keine. Dafür aber gab es unweit des Farmhauses eine Müllhalde, auf der Chris seinem Hobby nachgehen konnte, Dinge zu retten, die eventuell noch irgendeinen Nutzen haben könnten.
    Bei der Einrichtung des Farmhauses kam Chris nicht nur seine Affinität zum Müll zugute, sondern vor allem sein Charme, der ihm die Freundschaft zu einem russischen Grafenpaar in der Nachbarschaft einbrachte. Sie verkauften Chris für einen Shilling eine spätviktorianische Couch aus Rosenholz mit elfenbeinernen Intarsien – noch über 50 Jahre später freut sich Chris darüber.
    Mit 15 verließ Chris die Schule, um auf der Farm seines Stiefvaters zu arbeiten – Chris grinst, er sei ein schrecklicher Teenager gewesen. Mit 17 hatte er genug davon und wanderte nach Kanada aus, aber 18 Monate später kam er schon wieder zurück. Dann ging er nach Zypern, wo er seinen Wehrdienst ableisten mußte. Mit 21 Jahren war er wieder in England, doch nicht für lange. Immer wieder reiste er quer durch Europa, verdiente sich Geld, indem er Möbel kaufte, die kein anderer Händler wollte, und sie dann um einiges teurer wieder verkaufte.
    Wie so viele seiner Landsleute verspürte Chris immer wieder diese typisch englische »Wanderlust« (übrigens ein deutsches Wort, das – wie zum Beispiel »Angst« – Einzug in den englischen Wortschatz gefunden hat), die von einer von keinem Sicherheitsdenken beschwerten Lust auf die Welt zeugt. Von ungewissen Bedingungen am Reiseziel hat sich noch nie ein Engländer abschrecken lassen. Als es noch das British Empire gab, machten sich Männer und Frauen bedenkenlos nach Indien oder Australien auf, ohne zu wissen, was sie dort erwartete.
    Irgendwann ging Chris dann nach Spanien, traf dort das Mädchen, das noch heute seine Frau ist, und kehrte schließlich nach London zurück. Um seine junge Familie zu ernähren, gab Chris die alten Möbel auf und nahm einen Vertreterjob an. Eines Tages im Jahre 1968 auf der A38 – Chris weiß noch ganz genau, wo – kam ihm eine erschreckende Erkenntnis: er verkaufte etwas, was kein Mensch brauchte, und hatte nicht einmal Spaß dabei. Sein Leben war ihm zu sinnlos geworden. Also schmiß er auf der Stelle seinen Job, vermietete die Hälfte seines Hauses und begann wieder, mit gebrauchten Möbeln zu handeln. Erst an einem Stand, nach kurzer Zeit in einem eigenen Geschäft in Bristol.
    Dank seiner Persönlichkeit und seines Fachwissens florierte der Handel. Bis er eines Tages genug davon hatte, den Laden verkaufte und samt Familie an den Rand vom Exmoor zog.
    Sein erster Versuch, sich zur Ruhe zu setzen, war nicht von Erfolg gekrönt. Als sich die Möglichkeit ergab, in der alten Scheune an der A39 in Carhampton eine Art GebrauchtwarenBauhof, in dem man alles von antiken Dielen über jahrhundertealte Dachschindeln und historische Gartentore bis hin zu Kaminen findet, einzurichten, zögerte er nicht lange.
    Jetzt ist es für Chris wirklich an der Zeit, sein Reich in Carhampton einem Jüngeren zu übergeben und einen erneuten Anlauf Richtung Ruhestand zu machen. Die Gesundheit macht nicht mehr so mit, wie Chris es
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