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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland
Autoren: Elke Kößling
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aber einer der feineren Art. Es handelt sich um eine für den Verbraucher wunderbare Einrichtung, die deutschen Behörden allerdings die Tränen in die Augen treiben würde.
    Von Kent bis Cornwall hat fast jeder Ort seine local tip, eine Reihe großer Müllcontainer, an einem gut erreichbaren Platz. Egal, ob Bauschutt, Hausmüll, Gartenabfälle oder alte Farben – auf der tip wird man alles los. Und das zu allen Uhrzeiten. Selbst sonntags kann man bedenkenlos seinen Müll abgeben.
    Wer sich nicht ganz sicher ist, welcher Container der richtige für seinen ganz speziellen Müll ist, fragt einfach den tip - Aufseher, der sein Büro in einer kleinen Blechhütte hat, die mit Wasserkessel, einer bunten Ansammlung von Teetassen und geblümten Vorhängen häuslich eingerichtet ist.
    Sollte man ein Stück dabeihaben, das eigentlich doch zu gut zum Wegwerfen ist, aber noch keinen anderen Abnehmer gefunden hat, vertraut man es dem Aufseher an, der dieses Stück gegen ein geringes Entgelt wieder an Liebhaber abgibt. Kein Engländer, der nicht erst einmal dort nachschaut, ob er dort nicht noch einen Schatz findet.
    Bis ein Möbelstück auf der Mülldeponie landet, hat es einen weiten Weg hinter sich. Nicht umsonst gibt es den Spruch »One man’s junk is another man’s treasure«, der Müll des einen ist der Schatz des anderen. Wenn ein Engländer etwas loswerden will, versucht er zu verkaufen, was auch immer es ist, beim Flohmarkt in der eigenen Garage, beim Gebrauchtwarenverkauf auf oder vor der Laderampe des Autos, in Trödelläden, auf Hinterhof-Auktionen oder, wenn es sich um einen echten Wertgegenstand handeln sollte, im Antiquitätengeschäft. Alternativ spendet man das gute Stück dem Wohltätigkeitsladen, der es wiederum zugunsten eines Hospizes, Kinderkrankenhauses oder einer Tierauffangstation verkauft.
    Andersherum funktioniert die Geschichte natürlich auch: wer etwas braucht, wird genau dort anfangen zu suchen. Halten Sie Ausschau nach Anschlägen, die einen Gebrauchtwarenverkauf ankündigen – Sie werden sich wundern, was man dort alles für einen Pfennigbetrag erwerben kann. Selbst wenn Sie selber gerade nichts brauchen, machen Sie sich den Spaß und feilschen um einen alten, silbernen Kerzenständer oder einen Ohrring. Das gehört zum englischen Alltag wie auf einen orientalischen Basar.
    Etwas Neues kaufen Engländer nur im äußersten Notfall oder wenn man zur bedauernswerten Schicht der nouveau riches gehört, die nicht wissen, was sie mit ihrem erst in dieser Generation angehäuften Geld anfangen sollen. Dementsprechend haftet Funden, egal ob von der Müllkippe oder aus dem Trödelladen, auch nichts Anrüchiges an. Wenn man dabei auch noch ein erfolgreicher Schnäppchenjäger war, um so besser. Außerdem, ein weiterer, nicht unerheblicher Vorteil: sehen die Fundstücke doch nicht so schrecklich neu aus.
    Nicht umsonst verdanken wir England die Mode der »gequält« aussehenden Möbelstücke. Für die finanzstarken Schichten, die keine Zeit haben, zu Flohmärkten zu gehen, gibt es nagelneue Schränke und Stühle, die so aussehen, als hätten -zig Generationen ihre Füße daran geschabt und genauso viele Generationen keine Zeit gehabt, das Möbelstück neu zu lackieren. Wie gesagt, offenkundig neue Sachen gehören einfach nicht zum feinen englischen Stil.
    Außerdem ist Sammeln in England eine nationale Leidenschaft. Die »BBC Antiques Road Show« ist einer der Renner, die zur besten Sendezeit über den Bildschirm flimmern. Alt und jung tragen ihre Schätze zu den Experten der Show, die das ganze Jahr über durchs Land zieht und in großen Hallen Station macht. Der Rest der Nation klebt vor dem Fernseher, bestaunt die alten Stücke und hofft, ähnliches im eigenen Haus oder Schuppen zu haben.
    Da hat sich schon manch alte Kommode als wahres Juwel und das im Schuppen verstaubende Gemälde als Meisterwerk entpuppt, das viele tausend Pfund wert ist.
    Die Show ist so unspektakulär, daß sie den Namen Show eigentlich gar nicht verdient. Im deutschen Fernsehen wäre sie undenkbar. Passiert doch im Prinzip eine Stunde lang gar nichts, außer daß alte Vasen, Löffel und Puppen andächtig in die Kamera gehalten werden. Ein Schnitt erfolgt erst, nachdem gezeigt wurde, wie einer der Gäste seine Vase oder die alte Teekanne vorsichtig von mehreren Schichten Verpackung befreit und dem Experten überreicht hat, der das gute Stück ehrfurchtsvoll entgegennimmt, dreht und wendet, ausführlich beschreibt. Irgendwann nennt
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