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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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Krieg nicht in Frage kommen würde. Und bekanntermaßen fallen im Krieg alle Hemmungen, und der Mensch erweist sich als Bestie.
    Bei alldem wirkte Claus Peymann zumindest in der ersten Kriegshälfte souverän, elegant, weltmännisch und unbesiegbar. Während nicht nur Teile der österreichischen Presse sowie die konservativen und sozialdemokratischen Vaterlandsverteidiger ausgesprochen hölzern, humorlos und spracharm auftraten, als schlechte Verlierer sowieso, sondern erstaunlicherweise auch die Schauspieler des Burgtheaters. Allen voran deren Ensemblesprecher Franz Morak, dem sodann eine typisch österreichische Karriere beschieden war. Der Mann war einst als Punkrocker tätig gewesen und hatte mit Liedern wie »Sieger sehen anders aus« den Austropop an seiner Peripherie nicht ungeschickt beackert. Als dann aber Peymann, mit Bochumer Theaterleuten bewaffnet, nach Wien kam, verwandelte sich Morak in eine Supermimose, einen gnomhaften Zornbinkel. Auch wenn natürlich so getan wurde, als diskutiere man Fragen der Theaterführung, Fragen der Kunst, der Stückewahl etc., so ging es, worum es immer in Österreich geht: den Erhalt von Privilegien. Um etwas Heiliges. Die Rechten sehen das Privileg als von Gott naturgegeben, die Linken als Kulturleistung. Das Privileg ist fundamental. Jedenfalls nichts, was man sich von einem dahergelaufenen RAF-Sympathisanten, der nicht einmal imstande war, das Wort »Chance« frankophon auszusprechen, so einfach wegnehmen ließ.
    Und es war dann also der arme Franz Morak, der an vorderster Front gegen Peymann anzustürmen hatte, bis hin zur Selbstverstümmelung, welche ihren perfekten Ausdruck darin fand, daß Morak nach Peymanns Weggang aus Wien als Kunststaatssekretär in die Regierung des ÖVP-Kanzlers Wolfgang Schüssel gelangte. Was für ein Lohn! Was für ein Hohn! In Österreich ist Komödie keine dramatische Gattung, sondern eine bakterielle — kein Stück, sondern ein Zustand. Diese Feststellung wiederum soll nicht als Witz oder Gleichnis verstanden werden. Mit Bakterien ist nicht zu scherzen (dies sei für jene gesagt, die Vorhaben, längere Zeit nach Österreich zu gehen). Zwischen Peymanns Einzug in Wien und Moraks Gang in die Regierung lagen dreizehn Jahre, in denen der Kampf kaum eine Pause kannte. Neben Morak waren es vor allem Fritz Muliar (ein Mann, der immer nur Fritz Muliar spielt) und Erika Pluhar (eine auch im Alter wunderschöne Frau, aber auch sie eigentlich mehr eine Erscheinung als eine Schauspielerin), welche die Attacken gegen Peymann ritten. Wobei es in keiner Sekunde darum ging, Peymann von irgend etwas – etwa der Qualität der Alteingesessenen – zu überzeugen, sondern ihn aus dem Land zu jagen. Die Manöver führten so weit, daß bei den Vorstellungen die Platzanweiser dem Publikum vom Besuch des Theaters abrieten. Eine Welle der Solidarität ging durchs Land.
    Und wenn zu Beginn dieser »Gebrauchsanweisung« gesagt worden war, Österreicher würden mit Vorliebe über Bücher reden, die sie nie gelesen haben, dann gilt dies für Theaterstücke in noch größerem Maße. Das ungesehene Theaterstück ist unvergleichlich interessanter, aufregender und diskussionswürdiger.
    Um nun in solche Diskussionen etwas Konkretes einbauen zu können, gibt es die Presse, welche über die Stücke berichtet oder Auszüge aus einem Text veröffentlicht. In schönster Weise erfolgte dies 1988, als Peymann – zielsicher wie so oft — das hundertjährige Bestehen der »Burg« dadurch feierte, Thomas Bernhards Stück Heldenplatz zur Uraufführung zu bringen. Noch vor der Premiere wurden einzelne Passagen unkommentiert zuerst im Wochenmagazin Profil, dann aber sehr wohl kommentiert in Österreichs Lieblingszeitung, der unglaublichen Kronen Zeitung, abgedruckt. (Ich empfehle dem Österreichurlauber ganz grundsätzlich, sich als erstes ein Exemplar der Kronen Zeitung zuzulegen. Er wird dann aufs schnellste und schmerzhafteste über den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Meinungsstand in Kenntnis gesetzt. Die Kronen Zeitung ist nämlich keine Boulevardzeitung, sondern eine bitterernste Kampfschrift. Bitte nicht mit der BILD-Zeitung gleichsetzen. BILD ist gegen die Kronen Zeitung ein Satiremagazin.)
    Und weil also eine solche Kampfschrift, war die Kronen Zeitung natürlich federführend am Krieg gegen Peymann beteiligt. Die in der Kronen Zeitung publizierten Bernhardschen Textausschnitte heizten die Stimmung beträchtlich an und gaben jedem einzelnen Österreicher die
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