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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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olle im Oasch daham, und i bin dem Oasch sei Abszeß« vortragen, dann ist damit der präziseste Punkt des wienerischen Wesens getroffen, dessen Bösartigkeit von einem großen Schwung getragen ist, einer tänzerischen Qualität, einer walzerartigen Umlaufbahn und einer ironisch kunstvollen Selbstverliebtheit. Ein Leben als beschwingtes Abszeß.
    Die unglaublichste Figur in diesem Drei-Buaberl-Haus der Erika Pluhar ist natürlich Udo Proksch, welcher ein absurdes Theater der Wirklichkeit schuf und mittels seiner realen Aktionen alles in den Schatten stellte, was andere sich bloß ausdenken. Daß er seine Kommandozentrale ausgerechnet in der traditionsreichen Hofzuckerbäckerei Demel einrichtete beziehungsweise darüber im Club 45, einer Loge für SPÖler und andere Aristokraten, zeigt seinen Hang zu grandiosen Inszenierungen. Wie auch sein »Verein der Senkrechtbegrabenen«, seine Ideen von der Notwendigkeit hyperrealistischer Kriegsspiele, seine Sprengübungen auf einem Tiroler Truppenübungsplatz, seine höchstpersönliche Vernetzung des Landes und vieler seiner Entscheidungsträger, eben ganz im Stile eines innovativen Zuckerbäckers, der eine Torte aus dem Ofen zaubert, die dann natürlich seinen eigenen Namen trägt. Eine ganze Weile war Österreich eine Torte namens Proksch. Dieser napoleonisch häßliche Mann spielte mit lebenden Puppen, mit Ministern und Bürgermeistern, ganz nach Belieben, ohne eigentlich viel mehr zu besitzen als seinen ungemeinen Charme, seinen Esprit und Witz, seine Erfindungsgabe und sein vollkommen ernstgemeintes Ich-darf-alles-was-ich-will.
    Als dann aber der Frachter Lucona versank und sechs Seeleute starben und mit merkwürdiger Verspätung der Verdacht eines Versicherungsbetruges aufkam, begann die Torte zu bröckeln, entwichen die stabilisierenden Elemente, schmolz die schützende, umhüllende Glasur in der Hitze einer öffentlichen Debatte. Udo Proksch erwies sich aber auch in dieser schwierigen Situation als einfallsreich und stilbewußt, während seine SPÖ-Freunde peinliche Eiertänze aufführten. Proksch verließ das Land, ließ sich in Manila das Gesicht operieren und vollführte eine Flucht im Stil einer James-Bond-Parodie. Auch jetzt noch praktizierte er sein Prinzip vom spielenden Mann, dem die Wirklichkeit als Bühne dient, der eine Art umgekehrten Cyberspace schafft, indem er die reale Dreidimensionalität in eine illusionistische Zweidimensionalität verwandelt. (Das ist das österreichische Theaterprinzip. Vergessen Sie nie, sich dessen bewußt zu sein, wie sehr alles Faktische auf einem Schauspiel beruht.) Der Schluß seiner Flucht war noch ein letztes Stück fulminanter Komik. Proksch verhielt sich wie ein Junge, dessen Mitspieler unfähig sind, ihn einzufangen, und welcher sich schließlich zu einer großzügigen Geste entscheidet, sein Räuberversteck verläßt und sich von den »Gendarmen« erwischen läßt. Und zwar in einer Weise, daß die etwas naiven Fänger sich einreden können, dies sei ihre eigene Leistung gewesen. — Proksch ließ sich also gefangennehmen und kehrte nach Österreich zurück.
    Der Rest war dann nicht mehr so amüsant. Ganz Österreich hatte sich dafür entschieden, den ehemaligen Brillendesigner, Konditoreibesitzer und Logenbetreiber zum Bauernopfer zu machen. Was auch immer Udo Proksch getan hatte, bewiesen wurde gar nichts. Die Nation lebte jedoch in dem Gefühl, sich mittels der Dämonisierung und Verurteilung eines einzelnen reinwaschen zu können. Vor allem die involvierten Sozialdemokraten nutzten diese Möglichkeit, jene Kurve zu kratzen, in welcher Proksch mit dem ganzen Schlamassel alleine zurückblieb. Seine lebenslängliche Verurteilung wegen sechsfachen Mordes war eine Farce, ein schlechtes Stück, weil es eben nicht von ihm geschrieben war, sondern aus einer Not der Nation heraus. — Sechs Tote sind kein Spaß. Und ebensowenig ein Prozeß, dessen Ausgang auf Wunschdenken basiert.
    Zu den Mitgliedern im »Verein der Senkrechtbegrabenen« gehörten auch Helmut Zilk, der vom Fernsehmoderator zum sozialistischen Bürgermeister von Wien aufstieg (wobei er diese beiden Professionen gerne miteinander verwechselte), sowie der bereits erwähnte Helmut Qualtinger, dessen Darstellung des opportunistischen Herrn Karl zum Prototypen des Österreichers schlechthin geriet. So berühmt diese Figur auch ist, würde ich noch mehr Qualtingers Fernsehinterpretation von Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit empfehlen sowie die beiden
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