Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Umwege und der Verwicklungen. Wenn man etwas kompliziert sagen kann, wieso einfach?
    Es ist darum auch ganz bezeichnend, daß einer der bekanntesten österreichischen Maler, der Spiral- und Zwiebelturmvirtuose Friedensreich Hundertwasser, die gerade Linie als »gottlos« einstufte. Die gerade Linie ist die logische Verbindung zwischen zwei Punkten. Der Österreicher widersetzt sich dieser Logik, geht dahin und dorthin, entdeckt neue Aussichten, produziert im Stile einer Schnecke kurvige Schleimspuren, verliert sich, gelangt aber dennoch irgendwann – ein Meisterwerk gekonnter Verirrungen hinter sich lassend — zu Punkt B, freilich mit einiger Verspätung. Woraus sich für Sie, lieber Reisender, zwei wichtige Aspekte ergeben:
    Erstens: Wenn Sie einen Österreicher nach dem Weg fragen, wundern Sie sich nicht über die Weitschweifigkeit seiner Ausführungen (er ist schließlich kein Navigationssystem, sondern ein literarisch begabtes Wesen), und genießen Sie die Orte, an welche diese Ausführungen Sie bringen werden (man weiß sowieso nicht, ob es nicht eh’ besser war, nicht gleich dort anzukommen, wo man hinwollte).
    Zweitens: Gehen Sie davon aus, daß, wenn Sie sich mit einem Österreicher verabreden, er mit großer Wahrscheinlichkeit zu spät kommt. Nehmen Sie es nicht persönlich. Und seien Sie nicht so vermessen, zu meinen, der Österreicher könnte doch ausnahmsweise – dem Gast zuliebe – pünktlich sein, ausnahmsweise den direkten Weg zwischen zwei Punkten nehmen. Das wird er nicht tun, besagter »Gottlosigkeit« wegen.
    Daraus resultiert der Irrtum, Österreicher seien besonders langsame und träge Menschen. Das stimmt nicht. Eher ist der Österreicher hochaktiv, ja hyperaktiv. Wo ein Deutscher zwei Schritte macht, macht er vier, von denen aber einer zur Seite und einer nach hinten fuhrt. Auch in dieser Hinsicht besteht wieder die so überaus prägende Liebe zum Ornament. Das Ornament unterstreicht die Bedeutung der Dinge. Man geht oder fährt lieber einen bestimmten Umweg, wenn dieser dem Charakter des Ziels eher entspricht. Und das hat ja etwas für sich. Darum auch werden hohe Berge über schwierige, gefährliche Routen erklommen. Ginge es allein um das Erreichen des Gipfels, würde der Wanderweg auf der windgeschützten Rückseite ja völlig ausreichen. Der Österreicher ist ein verrückter Alpinist, selbst wenn er sich in Eisenstadt oder Graz befindet und ein Kaffeehaus aufsucht. Der Wert des Kaffeehauses erhöht sich mit der Umständlichkeit der Anfahrt.
    Österreicher wollen natürlich, wie fast alle Menschen, nicht nur gelobt und hofiert und mit Rücksicht ob ihrer Eigenheiten behandelt werden, sondern sie wollen auch geärgert werden. Von Deutschen besonders gerne. Überhaupt ist der Österreicher eher dem Ärger verpflichtet. Seine in volkstümlichen Ritualen gepflegte Lustigkeit ist bloß eine kunstvolle Verniedlichung seines Ärgers, seiner fundamentalen Wut.
    Die banalste, leider immer wieder praktizierte Form, einen Österreicher zu ärgern, besteht darin – ist man denn ein Deutscher —, so zu tun, als würde ein aus der gleichen Produktion stammender nagelneuer Mercedes, nur weil er von einem Deutschen in Deutschland erstanden wurde, schneller, schöner, sparsamer, luxuriöser, haltbarer und fahrerfreundlicher sein als das von einem Österreicher gefahrene, vollkommen identische Pendant. Ganz sicher stammt diese Manövertechnik aus einer Zeit, als deutsche Urlauber tatsächlich die größeren und stärkeren Wagen besessen haben. Nun ist diese Zeit zwar vorbei, aber es gibt Wunden, die braucht man nur einmal schief anzuschauen, schon sind sie offen.
    Was dem einen sein Mercedes ist, ist dem anderen sein Hochdeutsch. Der Deutsche ohne Mercedes, aber mit Intellekt, hat die Möglichkeit, sein österreichisches Gegenüber dadurch zu ärgern, indem er so tut, als wäre ein in Hochdeutsch vorgetragenes Argument richtiger als ein in Kärntnerisch oder Steirisch oder Wienerisch. Das ist ein Unsinn, den kein Deutscher wirklich glaubt, sehr wohl aber der Österreicher, zumindest umso weiter es nach Osten geht. Vielleicht hat auch dies alte Wurzeln. Gebildete Österreicher leiden unter dem Dialektvorwurf, unter ihrer Hochdeutschunfähigkeit. Sie mögen das überspielen, sich vernünftig geben, die Leistungen der großen österreichischen Denker ins Spiel bringen. . . dennoch, sie ärgern sich. Und indem sie sich ärgern und vor allem ihr Vorurteil vom überheblichen Hochdeutschier bestätigt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher