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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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Kulturmensch. Und weil sein Selbstbewußtsein in bezug auf die Kultur enorm ist, widerstrebt es ihm, genaue Definitionen vorzunehmen. So wenig ein Engel erklärt, warum er ein Engel ist. Engel wird man einfach. Jedenfalls ist der Kulturbegriff der Österreicher sehr viel weniger konkret, als man das bei anderen Europäern erlebt. Für den Österreicher ist praktisch alles Kultur. Und alles ist sein eigenes Verdienst. Selbst die Natur. Der Österreicher hält die Natur in seiner Umgebung für einen Ausdruck der eigenen Kulturleistung. Jedes Blatt, jeder Zweig, jedes Vogelzwitschern, jeder schmackhafte Pilz stellt ein aus dem Wollen und dem Denken heraus geborenes hiesiges Produkt dar.
    Das erkannte bereits Adalbert Stifter, der in seiner Erzählung Bergkristall über die Erhebung nahe einer Ortschaft schreibt: »Dieser Berg ist auch der Stolz des Dorfes, als hätten sie ihn selber gemacht, und es ist nicht so ganz entschieden, wenn man auch die Biederkeit und Wahrheitsliebe der Talbewohner hoch anschlägt, ob sie nicht zuweilen zur Ehre und zum Ruhme des Berges lügen.«
    Für einen Berg lügen, das ist dem Österreicher ganz selbstverständlich. Überhaupt das Lügen, obgleich man es natürlich so nicht ausdrücken würde. Man lügt nicht im Bewußtsein einer Verfälschung der Fakten, sondern ganz im Gegenteil, man lügt, um einer Sache gerecht zu werden, die Wahrheit in die richtige Richtung zu verbiegen. Wie sich das bei schöpferischen Menschen gehört oder Menschen, die sich für schöpferisch halten. Sie lügen nicht, sie erfinden.
    Die Dinge, die natürlichen wie die künstlichen, sind dem Österreicher so vertraut und naturgemäß, daß er etwa mit Leichtigkeit über Bücher redet, die er nie gelesen hat. Das hat nichts zu tun mit dem Improvisieren anderswo. Der Österreicher denkt ja, auf eine gewisse Weise dieses bestimmte Buch tatsächlich gelesen zu haben, es quasi von innen heraus gelesen zu haben. Er ist derart überzeugt davon, daß er mit Leichtigkeit stundenlang über Nestroy und Schnitzler und Musil, vor allem aber über Haßfiguren wie Handke, Jelinek und eben Thomas Bernhard reden kann, ohne je ein Wort davon gelesen zu haben. Und es wäre weder höflich noch ratsam, als der Gast, der Sie sind, zu versuchen, genau diesen Umstand ruchbar werden zu lassen. Sie dürfen ruhig kritisch sein, das ist kein Problem, Sie können auf Widersprüche hinweisen, Ihre eigene Meinung zum besten geben, heftig debattieren, aber kommen Sie bitte nicht auf die Idee, dem Österreicher vorzuwerfen, er könne besagtes Buch doch gar nicht gelesen haben. Der Österreicher würde sich nämlich nicht ertappt, sondern völlig zu Unrecht beschuldigt fühlen. Noch dazu als der Kulturmensch, der er nun mal — höchstwahrscheinlich gottgegeben – seit jeher ist.
    Der Österreicher gibt viel auf das Gottgegebene. Aber als der spezielle Katholik, als der er sich fühlt, ein an Missionierungen und Weltrettungen desinteressierter Barockmensch, versucht er nicht, aus den göttlichen Entscheidungen weltliche Rechtfertigungen herauszufiltern. So überzeugt er davon ist, daß Gott sich bei allem etwas gedacht hat, so wenig spekuliert er darüber, was Gott sich gedacht hat. Der Österreicher ist ein untheologischer Mensch, der mehr auf die Macht des Rituals hört als auf die Stimmen aus dem Himmel. In dieser Hinsicht ist er ein äußerst weltlicher Charakter, der sich selbst von einem Wunder nicht wirklich beeindrucken lassen würde. Weil er nämlich auch das Wunder als Ornament erkennt, als eine Schmückung, nicht als einen Fingerzeig. Was wiederum auf eine gewisse Unbelehrbarkeit hindeutet. Und das ist ja sicherlich der Fall. – Glauben Sie bitte nicht, der Österreicher würde sich von der Stichhaltigkeit eines Arguments beeindrucken lassen. Er ist kein Formelmensch, allerdings auch kein Bauchmensch, sondern eben ein Kulturmensch, für den die Art, wie ein Argument vorgetragen wird, mehr zählt als das Argument selbst. Wenn Sie ihn überzeugen wollen, dann achten Sie also auf Ihre Fabulierkunst, bemühen Sie sich um Witz und Charme und Eleganz, und vernachlässigen Sie das Prinzip exakter Wissenschaft. Lieber ein schöner falscher Satz als ein richtiger Satz, der den Verdacht nährt, Sie seien fade, kleinmütig und phantasielos. Das aus der experimentellen Mathematik bekannte Prinzip, nach dem einfache Lösungen die schönsten sind, gilt dem Österreicher wenig. Man kann sagen, er ist ein Meister des Umständlichen, ein Meister der
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