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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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davon, daß heute der Schnee oft ausbleibt.
    Es gibt Maler, die malen der Einfachheit halber Bilder. Und es gibt Maler, wie van Gogh einer war, die produzieren einen vollkommen eigenständigen, mit extremer Energie angereicherten Raum. So ist es auch mit Fußballern. Manche schießen einfach Tore, weil darin ein Ziel des Spiels besteht, andere aber erzeugen mittels der Art und Weise ihres Torschusses einen solchen hochenergetischen Raum, einen Raum, in dem die Zeit stehenbleibt, in dem sie kristallisiert. Woraus sich dann eine Erinnerung ergibt, die nie an Farbe verliert, nie vergilbt, nie den Eindruck aufkommen läßt, man hätte sich das alles nur eingebildet.
    Ich war siebzehn, als ich im Juni 1978 vor dem elterlichen Fernseher saß — und zwar bereits am Boden, weil die Form des Sessels dem Aufgeregtsein des Menschen widerspricht –, als im Weltmeisterschaftsspiel Deutschland gegen Österreich der Stürmer des SK Rapid Wien, seine Heiligkeit Hans Krankl, einen solchen in sich abgeschlossenen, die Zeit einfrierenden Raum schuf. Nicht, weil er das 3:2 für Österreich schoß und damit nach 47 Jahren endlich einen Sieg über den meist übermächtigen Nachbarn garantierte. Es gibt Siege, auch nach 47 Jahren, die sind keinen Groschen wert. Es gibt Tore, die ein Spiel entscheiden, aber nicht die Welt verändern — das übliche Gestocher im Strafraum, hingehaltene Köpfe, Rasenschachmanöver, südamerikanische Illusionistentricks, nicht zuletzt Weitschüsse, die, wenn sie noch so schön ins Kreuzeck passen, den Geschmack einer puren Verzweiflungstat besitzen.
    Nichts davon geschah in dieser 88. Minute in Cordoba, als Krankl, der spätere »Goleador«, in den deutschen Strafraum eindrang, als würde er über Wasser laufen, als würde er nicht Gegner überspielen, sondern bloß Booten ausweichen, Bötchen, die da auf dem Wasser trieben. – Man kann natürlich ganz unterschiedliche Assoziationen entwickeln, aber es war mit Sicherheit diese ungemeine Leichtigkeit seiner Bewegung, die bis heute verzaubert. Als hätte Krankl einen seit Ewigkeiten bestehenden Plan erfüllt. Und so mag der Österreicher das ja auch gerne sehen, daß in dieser 88. Minute sich eine göttliche Fügung vollzog, um der Welt zu zeigen, worauf es im Leben ankommt: auf den richtigen Moment, nicht auf die Masse von Siegen und Weltmeistertiteln und unzähligen Triumphen, sondern auf die magische Singularität eines Augenblicks.
    Das berühmt-berüchtigte Geschrei des Reporters Edi Finger im österreichischen Radio stellt da eher eine peinliche Entgleisung dar. Als würde man während einer Predigt zu lachen anfangen. Edi Fingers verbaler Ohnmachtsanfall konterkariert die eigentliche Schönheit und Würde von Krankls Sturmlauf und Torschuß. Aber wie auch immer, dieses Spiel hat im österreichischen Bewußtsein einen Markstein gesetzt (etwa in der Art des außerirdischen Solitärs aus Odyssee 2001). Ein Markstein, der nicht nur unvergessen bleibt, sondern eine Strahlkraft besitzt, die jede alte und jede neue Schmach verdeckt. Und seither hat es leider einiges zu verdecken gegeben.
    Der deutsche Betrachter wird nun vielleicht meinen, man könne doch nicht ewig von einer bestimmten Sache zehren. Nun, ewig vielleicht nicht. Aber was sind ein paar Jahrzehnte für ein Fußballand wie Österreich? Der oft zitierte Schlendrian, der für so viele Bereiche gar nicht gilt, hier gilt er. Und dies hängt ganz unmittelbar mit einer österreichischen Spezialität zusammen, dem Funktionärswesen. Der Funktionär ist eine eigene Rasse. Es ist zunächst einmal natürlich auch Österreicher (und nicht eingeschleuster Marsianer, wie Verschwörungstheoretiker behaupten), gehört aber zur gleichen Familie wie die bereits erwähnten sprechenden Teekannen. Er ist prinzipiell ominös.
    Keine Frage, die Umtriebe des Funktionärswesens bestehen überall in der Welt. Doch auch hier gilt erneut, daß die Unterschiede größer sind, als man denken sollte. Der österreichische Funktionär besitzt eine vampirartige Mentalität. Er saugt die Dinge und Personen aus, um sie gleich darauf wieder aufzupäppeln. Solcherart entsteht ein Hin und Her aus Ausbeutung und Aufzucht. Was bei den Sportlern ein Pendeln zwischen Blutarmut und Blutüberschuß ergibt. Es ist wie in einer richtigen Familie, wo auf den Streit die Versöhnung folgt, ein Spannungsfeld zwischen Geschrei und Geschmuse. Und man sich ja vorstellen kann, was dies bei einer Familie mit elf und mehr Kindern für ein
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