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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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Durcheinander ergibt.
    Der Funktionär versteht sich als Vater und somit als Oberhaupt der Familie. Seine eigentliche Aufgabe ist da weniger von Bedeutung. Auch seine mögliche Inkompetenz. Zum Vater ist man geboren, dazu braucht man keine Ausbildung in Pädagogik. Da nun aber unglücklicherweise ein Fußballverein über einen ganzen Haufen von Funktionären verfügt, die ja alle ihr Blut brauchen, ist die Belastung für den einzelnen Spieler, und sei er noch sehr ein Profi, beträchtlich. Auch Profis leiden.
    In Österreich existiert der Begriff des »schlamperten Genies«, also eines seine Gabe nachlässig einsetzenden Menschen. Das schlamperte Genie ist vor allem im österreichischen Fußball häufig anzutreffen, ich denke jedoch, daß diese Nachlässigkeit auf eine Müdigkeit der Spieler angesichts der Interventionen der Funktionäre zurückzuführen ist. Eine Müdigkeit, die in gleicher Weise das Publikum erfaßt hat. Es ist in den Stadien eine somnambule Stimmung zu spüren, ein schwermütiges Dahingleiten wie in einem Traum, den man nicht versteht, der weder richtig schön noch richtig schrecklich ist. Und der schon viel zu lange dauert. Natürlich gibt es auch die lautstarken Fans, ja es gibt sogar Randale, aber sie resultieren eher aus einer Verwirrung der Gefühle als aus konkreter Wut über die deprimierenden Zustände.
    Ganz anders ist das natürlich beim Schifahren, dem Volkssport der Österreicher, wo Klischee und Wirklichkeit in idealer Weise ineinanderfließen. Der Österreicher firmiert ja nicht nur als Kulturmensch, sondern ebenso als Schimensch (einmal abgesehen von den als träge, auf eine dubiose Weise vergeistigt und freudianisch verseucht geltenden Wienern). Ein Land, in dem schon die Kleinsten auf den Bretteln stehen und die Hügel und Berge abwärtsrasen. Das ist ein wichtiger Punkt, diese Konditionierung der Jüngsten, nicht bloß aus einer Wer-sich-früht-übt-Philosophie heraus, sondern weil dies ein symbolischer Akt ist. Diese Bretter sind es, die die Welt bedeuten. Für einen Insulaner ist es nämlich gleichgültig, ob es Gegenden auf der Erde gibt, wo es niemals schneit. Am Mond schneit es auch nicht.
    Das Kind lernt, den Schnee und die Bewegung auf ihm als fundamental zu erkennen. Jedoch nicht in dem Sinn – wie das vielleicht für einen Skandinavier oder Grönländer gilt —, um sich von einem Punkt zu einem anderen zu begeben und dabei schwierige Wegstrecken zu überbrücken, woraus sich Sportarten wie Schilanglauf und Biathlon entwickelt haben. Nein, beim Schifahren ergibt sich erneut das Prinzip des Ornaments, des reinen Schmucks, der sinnentleerten Geste und Zierde. Was seinen optimalen Ausdruck im Wedeln findet, bei dem ein hübsches Strickmuster in den Schnee gepflügt wird. Ich kann mich gut erinnern, wie erfreulich es war, Hansi Hinterseer beim Schauwedeln zuzusehen, ohne daß ich behaupten möchte, er schuf wie Hans Krankl einen Raum, in dem die Zeit stillsteht. Eher hat man heute das Gefühl, Hansi Hinterseer selbst würde irgendwie in der Zeit feststecken, unfähig, alt zu werden, unfähig, einen seinem tatsächlichen Alter entsprechenden Zustand der Würde zu finden. Statt dessen . . . es soll hier nicht über die volkstümliche Schlagermusik gespottet werden, aber sie birgt nun mal ganz sicher nicht die Möglichkeit, Würde zu entwickeln. Sie ist auch nicht etwa österreichisch oder bayerisch oder alpenländisch. Nein, im Falle der volkstümlichen Schlagermusik scheinen ausnahmsweise jene Angsthasen recht zu haben, die immer von Außerirdischen sprechen und uns davor warnen, Fernsehgeräte einzuschalten und Tonträger zu erstehen.
    So wächst also das österreichische Kind mit langgestreckten, schmalen Latten an den Füßen auf, mit Gebilden, die den aufrechten Gang erschweren, ja die einem etwas von der gebeugten oder geduckten Haltung der Vorfahren zurückgeben. Und weil fast alle zum Schifahren gehen, kommt man selten auf die Idee, daran etwas komisch zu finden, einen ganzen Tag lang in solch unbequemen Positionen zu verbringen und plattgewalzte Pisten noch platter zu walzen. Klar, es geht auch um die Freude dabei, von welcher etwa der Austropopper Wolfgang Ambros, dieser Pionier der Dialektwelle und spätere Cat Stevens der Volksmusik, berichtet. Doch welche Freude ist wirklich gemeint? Den kalten Wind zu spüren? Sich ein Bein zu brechen? In derselben Haltung, mit der man seinen Hintern über eine verdreckte Toilette hält, ohne sie zu berühren, mit dem Schilift
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