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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Mario Frank
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wirklich nicht.« Ich bin so verdattert, dass ich etwas wie »macht doch nichts« ins Telefon stottere. Er müsste nicht selbst anrufen, sondern könnte mir das durch seine Sekretärin ausrichten lassen. Aber er nimmt sich die Zeit und macht sich die Mühe, mir die Nachricht persönlich zu übermitteln. 12
    Diese Art, mit anderen umzugehen, ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg von Joachim Gauck. Seine intensive Zuwendung zu den Menschen, die ihm begegnen, ist ganz und gar außergewöhnlich. Es ist vor allem dieser Wesenszug, mit dem er die Herzen der anderen gewinnt. Einschließlich der Journalisten, die sein Bild in den Medien prägen. 13

Seeleute sind immer abwesend
    Als meine Familie nach Rostock zog, blieb Wustrow für mich ein Zufluchtsort, ein tröstlicher Bezugspunkt ein ganzes Leben lang: Als ich jung war und jetzt, da ich in die Jahre gekommen bin; als ich noch allein lebte und als ich verheiratet war; als ich noch ein Kind war und als ich Kinder hatte.
    Joachim Gauck

Indianer in Wustrow
    Wenn wir versuchen, uns zu erinnern, wo wir herkommen, denken wir irgendwann an den Ort, an dem wir Kind waren. Für Joachim Gauck ist dieser Ort Wustrow, eine kleine Gemeinde vierzig Kilometer nordöstlich von Rostock, direkt an der Ostsee gelegen. Fischland nennt man den schmalen Landstreifen, der Gaucks Heimat ist. Auf der einen Seite liegt das Meer, auf der anderen der Saaler Bodden – an seiner schmalsten Stelle ist das Land zwischen den beiden Gewässern keine fünfhundert Meter breit. Meist weht eine Brise, es riecht nach Meer und die Alten sprechen Plattdeutsch. Hier, wo andere Urlaub machen, wuchs Joachim Gauck in den ersten fünf Jahren seines Lebens auf. Später, als seine Mutter nach dem Krieg mit ihren Kindern nach Rostock gezogen war, verbrachten er und seine eineinhalb Jahre jüngere Schwester Marianne regelmäßig ihre Ferien in dem kleinen Küstenort. Sie wohnten dann bei Freunden ihrer Eltern, etwa in den Häusern des Pastors und des Arztes, wo sie aufgenommen wurden wie eigene Kinder.
    Ein besonders intensives Verhältnis pflegte Joachim 14 Gauck zu seiner »Tante« Marianne Schliephake, die mit ihrer Familie einen Bauernhof in Wustrow besaß. In Wirklichkeit war die blonde und sehr attraktive Marianne gar nicht seine Tante, sondern eine Freundin seiner Mutter. Ihre Tochter Heidi, Gaucks Freundin seit den Wustrower Kindertagen, hegte keinen Zweifel: »Die hat er sehr geliebt und ein ganz enges Verhältnis zu ihr gehabt. Jochen hat meine Mutter damals vielleicht noch mehr geliebt als seine eigene.« Jochen war der Rufname von Joachim Gauck. Gesprochen mit langem o. Joochen. Seine Familie und seine Freunde aus der Kindheit nennen ihn bis heute so.

    1  Joachim Gauck mit Mutter Olga und Großmutter Antonie am Strand in Wustrow
    Zu der besonderen Beziehung zwischen dem Jungen und 15 Marianne Schliephake trug zweifellos bei, dass sie den Zwölfjährigen während seiner Schulferien im Sommer 1952 bei sich aufnahm, als er und seine Familie eine besonders schwere Zeit durchmachten. Dafür war er ihr für immer dankbar.
    Im Jahr zuvor war Joachims Vater von zwei schwarz gekleideten Männern in einem Auto abgeholt worden und danach spurlos verschwunden. Niemand wusste, was mit ihm geschehen war. In der dörflichen Struktur Wustrows galt die Solidarität unter Freunden mehr als die neue Loyalität, die die SED einforderte. »Der Freundeskreis seiner Eltern hat damals wortlos geholfen«, erinnerte sich Heidi Lüneburg an diese die Existenz der Familie Gauck bedrohende Zeit. »Wenn da die anderen seiner Familie nicht beigestanden hätten, hätten die das nicht geschafft.«
    Der Bauernhof von Tante Marianne war das reine Kinderparadies. Den ganzen Sommer über trugen die Jungen kurze Hosen und gingen barfuß. Bei schönem Wetter schliefen Joachim und Mariannes Sohn Burkhard in der Scheune im Stroh. Alles war grün, die große Wiese, die vom Haus direkt bis zum Bodden reichte, genauso wie das Schilf am Ufer. »Wir hatten Tiere, Land und Obstbäume, uns ging es gut«, berichtet Burkhard Schliephake. Am Wasser waren ein Holzsteg, auf den die Kinder sich zum Sonnen legten, und ein Anlegeplatz für Boote. Im Sommer schwammen sie im Bodden, im Winter liefen sie auf dem zugefrorenen Gewässer Schlittschuh. Hier lernte Joachim Gauck nicht nur schwimmen, sondern auch rudern und segeln. »Wir haben gespielt wie alle anderen auch, waren viel draußen und oft mit dem Boot unterwegs«, erinnerte sich Burkhard. »Immer
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