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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Mario Frank
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war eine Riesenclique um uns, in die Jochen voll integriert war.«

    2  Jochen und sein Freund Burkhard am Bodden in Wustrow
    Gelegentlich spielten die Kinder Indianer und Cowboy. 16 Joachim war der Indianer mit prunkvollem Federschmuck auf dem Kopf und einem von Tante Mariannes Mann selbstgebastelten Tomahawk, der furchterregend echt wirkte. Burkhard war der Cowboy und sah in seinen von der Mutter genähten Kleidern, einschließlich der ledernen Ärmelstulpen, aus wie aus einem Wildwestfilm. Heidi schließlich musste regelmäßig am Marterpfahl leiden. Mehr als ein halbes Jahrhundert später, als Joachim Gauck gerade zum Bundespräsidenten gewählt worden war und er das in Berlin mit seinen Freunden groß feierte, erinnerte Heidi Lüneburg die Festgesellschaft an ihr damaliges Martyrium. Sie begann ihren kleinen Vortrag auf dem Fest so: »Es gab Zeiten, wo er die Freiheit seiner Mitmenschen nicht so ge 18 schätzt hat wie heute. Es gab Zeiten, da hat er seine Mitmenschen gequält und geknechtet.« Dem einen oder anderen von Gaucks Gästen gefror das Lächeln im Gesicht. Dann warf Lüneburg das Indianer-Cowboy-Bild der drei Kinder an die Wand und löste das Rätsel auf: »Früh übt sich, was ein großer Häuptling werden will.« Die Erheiterung war groß.

    3  Indianer Jochen und Cowboy Burkhard
    Hier sind die Wurzeln von Joachim Gauck. Hierher würde er sein ganzes Leben lang immer wieder zurückkehren. Als Jugendlicher wie als verheirateter Familienvater. Die Verbundenheit mit seiner Heimat war so groß, dass er praktisch jeden Sommer wenigstens ein paar Tage auf dem Fischland verbrachte. In Wustrow legte und legt er sich keine Zwänge auf, egal ob als Pastor oder als Bundespräsident. Sein Jugendfreund Jörn Reiche erinnerte sich beispielsweise, wie der damalige Pfarrer in den siebziger Jahren während einer Fußball- WM unvermutet bei ihm zu Hause aufgetaucht war – sommerlich gekleidet, in kurzer Hose. Er wollte sich ein Spiel in größerer Runde am Fernseher mit ansehen. Fiel ein Tor, sprang er auf wie die anderen Gäste und jubelte lautstark mit. »Was, das war ein Pastor, das gibt's doch nicht!«, wunderte man sich in der Runde, als Reiche später Gaucks Beruf verriet.
    Nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten verbrachte er Ostern 2012 nicht nur seine ersten freien Tage hier, sondern auch den anschließenden Sommerurlaub. Selbstverständlich, wie er es immer getan hatte, besuchte er bei dieser Gelegenheit mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt auch seine alten Freunde. Der einzige Unterschied zu vorangegangenen Besuchen: Jetzt parkten zwei oder drei schwere, schwarze Limousinen mit Personenschützern in der Nähe. An einem dieser Tage klingelte bei Familie Reiche im Nachbardorf Niehagen das Telefon. Am Apparat war der Bun 19 despräsident, der vom Auto aus anrief: »Wir haben Hunger.« Wenig später saßen er und Daniela Schadt bei seinen Freunden am Küchentisch und aßen Schmalzbrote mit ihnen. Dann kam Gauck auf die Idee, sich die Haare schneiden zu lassen. Also wurde aus Ahrenshoop die Friseurmeisterin Silke Kischkel zur Familie Reiche nach Hause bestellt. Auf einem Küchenstuhl sitzend, ein Bier vor sich auf dem Tisch, ließ sich das deutsche Staatsoberhaupt von ihr seine Frisur neu in Form bringen. Anschließend fegte er die abgeschnittenen, auf den Boden gefallenen Haare persönlich mit einem Reisigbesen zusammen und lachte dabei. »Was man schmutzig gemacht hat, muss man auch wieder sauber machen.« Ein anderes Mal lag er zusammen mit Daniela 20 Schadt im Bademantel am Strand in Wustrow. Kein Personenschützer war zu sehen. Ein paar Jungen, vielleicht zwölf Jahre alt, erkannten ihn und sprachen ihn an: »Bist du der Bundespräsident?« Gauck unterhielt sich mit ihnen eine Viertelstunde lang, sie gestikulierten, diskutierten, lachten. Die Jungs durften ein Bild von ihm machen, das sie sofort ihren Eltern schickten, um zu belegen, dass sie den ersten Mann im Staate kennengelernt hatten.

    4  Haare schneiden bei Familie Reiche 2012
    Man mag der Meinung sein, dass das nur kleine Randnotizen in der Biographie eines Bundespräsidenten sind. Doch das wäre ein Irrtum. Diese Anekdoten belegen, wie authentisch und ursprünglich Joachim Gauck geblieben ist. Staatsmännische Attitüden sind ihm genauso fremd wie der Gedanke, als Inhaber des höchsten Staatsamtes sein Privatleben zu ändern oder seine bestehenden sozialen Beziehungen in Frage zu stellen. Typisch für die Art, mit der Joachim Gauck
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