Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Garten des Lebens

Garten des Lebens

Titel: Garten des Lebens
Autoren: D Macomber
Vom Netzwerk:
ganz schwindelig wurde. Aber es tat gut zu sitzen. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so müde und erschöpft. Jetzt musste sie genau nachdenken. Sie hasste es, wichtige Dinge zu vergessen, wie zum Beispiel ihre Adresse, ihre Telefonnummer, die Namen von Freunden und Bekannten. Seit George tot war, passierte das immer häufiger, und es machte sie unsicher.
    Wenn sie die Augen für einen Moment schloss … vielleicht half das. Vivian versuchte, sich zu entspannen, den Kopf freizubekommen, denn all die Sorgen und Ängste machten ihre Erinnerung nur noch verschwommener.
    Es wurde langsam kühl, nun, da die Sonne untergegangen war. Sie hätte einen Pullover mitnehmen sollen, aber sie hatte im Garten gearbeitet, und ihr war warm gewesen. Die Iris waren in diesem Frühling einfach zauberhaft, aber insgesamt war sie äußerst unzufrieden mit dem Zustand, in dem sich ihr Garten jetzt befand. Jahrelang hatte sie jede freie Minute in ihren Garten investiert, jetzt mochte sie ihn kaum noch anschauen. Vivian tat, was sie konnte, aber es gab einfach zu viel, das noch gemacht werden musste: Jäten, beschneiden, die einjährigen Pflanzen setzen … Nach dem Abendessen hatte sie noch die Pflanzen gießen wollen, und dabei war ihr eingefallen, dass sie die Post noch gar nicht hereingeholt hatte. Deshalb war sie zum Briefkasten gelaufen. Und nun war sie hier, verloren, verwirrt und ängstlich.
    Auf einmal spürte Vivian, dass sie nicht allein war. Jemand war in ihrer Nähe. Sie blickte auf und mochte ihren Augen kaum trauen.
    “George?”
    Der Mann, mit dem sie neunundfünfzig Jahre lang verheiratet gewesen war, stand im Schatten der Straßenlaterne neben ihr, und sein Lächeln wärmte sie. Freude durchströmte Vivian und unwillkürlich straffte sie ihre Schultern. In ihren aufgerissenen Augen waren Erleichterung und Angst zu lesen. George war gekommen, um ihr zu helfen, um sie zu retten. Und Vivian betete, dass es kein Trugschluss sein möge.
    “Du
bist
es doch, oder?”
    George antwortete nicht, aber er stand klar und deutlich vor ihr. Er war immer ein gut aussehender Mann gewesen, dachte sie und betrachtete bewundernd seine breiten Schultern und die aufrechte Körperhaltung.
    Sie kannten sich schon ein ganzes Leben lang und waren seit der Highschool ein Paar. Vivian war das glücklichste Mädchen auf der ganzen Welt, als George Leary sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle. Fast drei Jahre lang waren sie getrennt voneinander, als er in Europa kämpfte. Anschließend war George aufs College gegangen, um seinen Abschluss in Rechtswissenschaften zu machen. Die harte Arbeit hatte sich gelohnt, und nach ein paar Jahren im Beruf war er zum Richter berufen worden. George war die große und einzige Liebe ihres Lebens gewesen, sie vermisste ihn furchtbar. Und hier stand er nun – er war zu ihr gekommen, weil sie ihn brauchte.
    Vivian streckte ihre Hand aus, um ihn zu berühren, aber George wich zurück. Bestürzt ließ sie ihre Hand sinken und biss sich auf die Unterlippe. Nein, natürlich – sie hätte es wissen müssen. Man kann die Toten nicht anfassen.
    “Ich habe mich verirrt”, flüsterte sie. “Sei nicht ärgerlich, aber ich finde nicht mehr nach Hause zurück.”
    Er lächelte wieder, und sie war erleichtert, dass er ihr nicht böse war. Sie hatte schon vor seinem Tod Dinge vergessen, und manchmal hatte ihn das aufgeregt, obwohl er sich immer bemühte, es zu verbergen. Sie kochte nicht einmal mehr, weil sie so viele der alten Rezepte einfach vergessen hatte. Und die Anleitungen in den Kochbüchern waren so schwer zu verstehen. Aber George hatte sich nie beklagt und oft Suppe für sie beide warm gemacht.
    Vivian glaubte erklären zu müssen, was geschehen war. “Ich bin rausgegangen, um die Post zu holen, dann habe ich mich wohl entschieden, noch einen Spaziergang zu machen, und als ich mich irgendwann umgesehen habe, war ich weit weg von zu Hause.”
    Er streckte seine Hand aus, und sie stand auf.
    “Kannst du mich nach Hause bringen?”, fragte sie und verabscheute sich für ihren jammernden und hilflosen Tonfall.
    Er antwortete nicht. Vivian fiel ein, dass Tote auch nicht sprechen konnten. Das war in Ordnung, solange George bei ihr blieb. Sechs Monate waren vergangen, seit er gestorben war, und jeder Moment war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen.
    “Ich bin so froh, dass du da bist”, flüsterte sie und versuchte, ihrer zitternden Stimme einen festen Klang zu geben. “Oh, George, ich vermisse dich so.” Sie gingen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher