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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah
Autoren: John Irving
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Soll
sie doch den lieben Gott bitten, dass er ihr eins schenkt.«
    In ihrer Autobiographie schrieb
Jenny: »Ich wollte eine Arbeit haben, und ich wollte allein leben. Das machte
mich sexuell verdächtig. Außerdem wollte ich ein Kind, aber ich wollte weder
meinen Körper noch mein Leben mit jemandem teilen müssen, um eines zu bekommen.
Auch das machte mich sexuell verdächtig.« Genau das machte sie [29]  auch ordinär.
(Und daher hatte sie ihren berühmten Titel: Eine sexuell
Verdächtige. Die Autobiographie der Jenny Fields. )
    Jenny Fields entdeckte, dass man
mehr respektiert wurde, wenn man andere Leute schockierte, als wenn man
versuchte, möglichst unauffällig sein eigenes Leben zu leben. Jenny erzählte
den anderen Schwestern, dass sie sich eines Tages einen Mann suchen würde, um
sich von ihm schwängern zu lassen – und sonst gar nichts. Die Möglichkeit, dass der Mann es mehr als einmal
versuchen musste, zog sie nicht in Betracht. Die Schwestern erzählten das
natürlich brühwarm weiter. Nicht lange, und Jenny bekam gleich mehrere Anträge.
Sie musste sich schnell entscheiden: entweder beschämt den Rückzug antreten,
weil ihr Geheimnis jetzt keines mehr war, oder dazu stehen.
    Ein junger Medizinstudent bot
sich unter der Bedingung an, dass er an einem verlängerten Wochenende mindestens
sechs Versuche bekäme. Jenny erklärte ihm, er habe offenbar ein schwaches
Selbstvertrauen; sie wolle ein Kind, das nicht so unsicher sei.
    Ein Anästhesist sagte, er würde
sogar für die Ausbildung des Kindes – bis zum College-Abschluss – aufkommen. Jenny erklärte
ihm, seine Augen stünden zu eng beisammen, und er habe keine ebenmäßigen Zähne;
sie wolle ihrem zukünftigen Kind keine solchen Makel aufbürden.
    Der Freund einer anderen
Krankenschwester ließ sich etwas besonders Gemeines für sie einfallen: Er überreichte
ihr in der Krankenhauskantine ein bis zum Rand mit einer weißlichen,
schleimigen Flüssigkeit gefülltes Glas.
    »Sperma«, sagte er und deutete
mit einem Kopfnicken [30]  auf das Glas. »Das ist ein Schuss – ich mache keine halben Sachen. Wenn
man nur einen Versuch hat, bin ich Ihr Mann.« Jenny hielt das Zeug hoch und
musterte es kühl. Gott allein wusste, was wirklich darin war. Der Freund der
Kollegin sagte: »Nur damit Sie sehen, was ich Ihnen bieten kann. Samen en masse «, fügte er grinsend hinzu. Jenny kippte den Inhalt
des Glases in eine Topfpflanze.
    »Ich will ein Kind«, sagte sie.
»Ich habe nicht die Absicht, eine Samenbank aufzumachen.«
    Jenny wusste, dass sie es schwer
haben würde. Sie lernte, Hänseleien zu ertragen, aber auch zu kontern.
    So kamen die anderen zu dem
Schluss, Jenny Fields sei unfein, sie gehe zu weit. Ein Witz war ein Witz, aber
Jenny schien es ernst damit zu sein. Entweder streckte sie die Waffen aus
Sturheit nicht – oder, schlimmer noch, sie meinte
wirklich, was sie sagte. Ihre Kollegen im Krankenhaus schafften es weder, sie
zum Lachen, noch sie ins Bett zu bringen. Oder wie Garp über das Dilemma seiner
Mutter schrieb: »Ihre Kollegen stellten fest, dass sie sich ihnen überlegen
fühlte. Das können Kollegen grundsätzlich nicht leiden.«
    Also legten sie eine härtere
Gangart gegenüber Jenny Fields ein. Es war eine Entscheidung der Belegschaft – selbstverständlich »zu ihrem eigenen Besten«. Sie
beschlossen, Jenny den Neugeborenen und ihren Müttern wegzunehmen. Sie hat
immer nur die Kinder im Kopf, sagten sie. Jenny Fields muss weg von der
Entbindungsstation. Haltet sie von den Brutkästen fern – sie hat ein zu weiches Herz, oder eine zu weiche Birne.
    Und so trennten sie Jenny Fields
von den Müttern und [31]  ihren Kindern. Sie ist eine sehr gute Schwester, sagten
sie alle; schicken wir sie ein bisschen auf die Intensivstation. Sie hatten die
Erfahrung gemacht, dass die Schwestern auf der Intensivstation des Boston Mercy
schnell das Interesse an ihren eigenen Problemen verloren. Jenny wusste
natürlich, warum man sie von den Neugeborenen wegschickte; sie nahm den anderen
nur übel, dass sie ihr so wenig Selbstbeherrschung zutrauten. Weil sie ihren
Wunsch sonderbar fanden, nahmen sie an, sie könne sich auch nicht beherrschen.
Die Leute sind unlogisch, dachte Jenny. Sie wusste, dass sie noch viel Zeit
hatte, um schwanger zu werden. Sie hatte es nicht eilig. Es war einfach Teil
eines langfristigen Plans.
    Inzwischen war Krieg. Auf der
Intensivstation bekam sie davon etwas mehr zu sehen. Die Lazarette schickten
ihnen ihre Härtefälle,
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