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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine
Autoren: Claudia Piñeiro
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    »Ciao, meine Liebe.«
    » … «

5
    Ich ging in mein Zimmer. Ich hätte alles dafür gegeben, zu erfahren, was Ernesto in diesem Augenblick machte. Die Möglichkeit, dass er zur Polizei gegangen war, hatte ich bereits ausgeschlossen; stattdessen hatte er die Leiche vielleicht inzwischen bis zum See geschleift, um sie darin zu versenken. Das würde demjenigen, dem die Aufgabe zufiel, das – irgendwann ja wohl festgestellte – Verschwinden der Deinen aufzuklären, die Arbeit zusätzlich erschweren: Eine gute Idee! Am liebsten hätte ich Ernesto angerufen und ihm geraten, genau so zu verfahren. Aber das war unmöglich. Er wusste ja nicht, dass auch ich mittlerweile ein Teil dieser Geschichte war. Eine Weile war ich versucht, meine Geburtstagstaktik anzuwenden. Sie besteht in einer Art gelenkten freien Assoziation: »Letzte Nacht habe ich von dir geträumt, Ernesto. Ich habe geträumt, du würdest mir eine weinrote Lederjacke zum Geburtstag schenken, nach der ich ganz verrückt bin. In den Galerias Pacifico gibt es die zu kaufen, im dritten Geschäft im Erdgeschoss, rechts vom Eingang. Das war ein herrlicher Traum. Größe 42.« Aber in diesem Fall hätte ich anrufen und ungefähr Folgendes sagen müssen: »Liebling, entschuldige, dass ich störe, aber ich habe gerade einen furchtbaren Albtraum gehabt. Ich habe gesehen, wie du eine Leiche zum See im Palermo-Park schleifst.« Ein bisschen sehr an den Haaren herbeigezogen, das hätte er gemerkt.
    Es hieß also Ruhe bewahren, was mir gar nicht so leicht fiel. Ich gebe zu, ich war ganz schön nervös. Das merkte ich daran, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Sonst weiß ich immer, was zu tun ist, normalerweise erfasse ich eine Situation sofort. Aber dieses Mal war ich irgendwie verwirrt. Stimmt schon, man erlebt nicht alle Tage, dass vor den eigenen Augen eine Frau getötet wird. Und noch seltener kommt es vor, dass der Auslöser des Todes der eigene Ehemann ist. Aber na ja, »töten« klingt vielleicht ein bisschen übertrieben, nach ausgestrecktem Zeigefinger und pedantischer Lehrerin, die immer alles besser weiß. »Verunglücken« wäre wohl der angemessenere Ausdruck. Oder besser noch »stoßen und unbeabsichtigt den Hals brechen«. Nein, »Hals brechen« klingt nicht besonders vorteilhaft. »Nicht vorsätzlich.« Auf diese Formel stieß ich letzte Woche in einem juristischen Fachwörterbuch, in dem ich nachgeschlagen hatte, um mir Klarheit zu verschaffen. Dass die Deine durch einen »nicht vorsätzlich erfolgten« Stoß gestorben war, klang doch schon ganz anders. Schließlich hatte Ernesto den Baumstamm nicht an die Stelle gelegt, wo die Deine mit dem Kopf aufschlug. Das Schicksal wollte, dass es mit dieser Frau ein solches Ende nahm. Oder Gott. Ich glaube an so was. Und lehne mich nicht dagegen auf. Sondern versuche, die Botschaft dahinter zu erkennen. Denn warum lag diese Frau schließlich mit gebrochenem Hals im Palermo-Park? Sie hätte doch auch an der Seite meines Mannes durchs Recoleta-Viertel spazieren können. Nichts geschieht ohne Grund.
    Aber zurück zu meiner Unentschlossenheit. Was den Unfall selbst und die Schuldfrage betraf, war eigentlich alles ziemlich klar. Was ich nicht wusste, war, ob ich Ernesto besser im Bett erwarten sollte – wo ich so getan hätte, als ob ich schliefe – oder im Wohnzimmer, auf dem Sofa sitzend. Denn falls Ernesto nach Hause kam und, davon ging ich aus, unbedingt sofort alles erzählen wollte, würde er, wenn er mich schlafend vorfand, vielleicht nicht den Mut aufbringen, mich zu wecken. Fand er mich aber wach vor, wie hätte ich ihm da erklären sollen, weshalb ich noch nicht im Bett lag und schlief? Schließlich war es schon nach ein Uhr nachts, und normalerweise schlafe ich um zehn Uhr abends wie ein Toter. Wie ein Toter – passender hätte ich es nicht sagen können.
    Ich zog mir mein Nachthemd an und legte mich ins Bett. Besonders gut fühlte ich mich nicht dabei. Ich drehte mich hin und her und versuchte zu entspannen. Tief durchatmen und solche Sachen. Zwecklos. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer hinunter. Ich setzte mich in einen Sessel. Draußen regnete es immer stärker. Der Park musste sich in eine einzige Schlammwüste verwandelt haben. Ernesto fuhr währenddessen wahrscheinlich im Auto durch die Gegend und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Ich sah ihn vor mir, wie er im strömenden Regen am Lenkrad saß und unser Haus ansteuerte. Da fielen mir die Scheibenwischer wieder ein, die von
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