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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine
Autoren: Claudia Piñeiro
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sofort. Manchmal läuft man aus dem Ruder und kommt auf die verrücktesten Gedanken. Oder Taten. Nein, jemanden mit hinein zu nehmen, war wohl kaum die richtige Lösung. Ich ging zum Hotelparkplatz. Niemand sah mich. Ich suchte nach Ernestos Auto. Ich probierte aus, ob es abgeschlossen war. Es war abgeschlossen. Schritt sechs und sieben meines Schaubildes standen mir klar vor Augen, ich wusste bloß nicht, wie ich sie umsetzen sollte. Ich überlegte. Eine ziemliche Weile. Da fiel mir etwas ein, vielleicht nicht die beste Lösung, aber immerhin. Ich ließ die Luft aus einem der Vorderreifen. Schon fühlte ich mich ruhiger. Mein Aktionsplan war angelaufen und würde hoffentlich auch funktionieren. Ich setzte mich zwischen dem Kofferraum von Ernestos Wagen und der Wand auf den Boden und wartete. Ich dachte an Lali und dass sie nicht damit fertig werden würde. Ich dachte an meine Mama und dass sie stolz auf mich wäre. Ich dachte an Ernesto und versuchte sofort, nicht mehr an ihn zu denken. Es bekam mir nicht. Er war es nicht wert, das Dreckschwein. Ich wartete. Ich zog mir den Handschuh über. Ich wartete. Ich hörte Schritte. Ich wusste, das waren sie. Aber ich zeigte mich nicht. Ich öffnete die Handtasche.
    Ernestos Schuhsohlen schleiften ganz in meiner Nähe über den Beton. Ernesto mit seiner Art, beim Gehen die Füße schleifen zu lassen … Dabei nutzten sich regelmäßig die Absätze ab, von außen nach innen. Ernesto öffnete Charo die Tür. Sie setzte sich und drehte das Fenster hinunter. Ich konnte sie bloß hören, wusste aber in jedem Moment, was sie machten. Nach zwanzig Jahren wusste ich Bescheid. Ernesto lief vorne um das Auto herum zur Fahrertür. Dann sagte er »Verfluchter Mist« und trat gegen den platten Vorderreifen. Er zog die Jacke aus und warf sie auf seinen Sitz, schmiss die Tür zu und ging zum Kofferraum. Ich bewegte mich nach vorne. Gebückt. Die Kofferraumklappe ging auf und verdeckte Ernesto. Ich wusste, dass er mindestens zwei Minuten benötigen würde, um den Ersatzreifen herauszuwuchten. Ernesto erledigt solche Arbeiten mit großer Sorgfalt und Umsicht. Ich richtete mich auf. Vor Charos Fenster. Das früher mein Fenster gewesen war. Der Kofferraumdeckel entzog mich Ernestos Blick. Sie sah mich an. Ich genoss diesen Augenblick. Ich zielte auf sie. Trotz ihrer Titten und ihrer pechschwarzen Haare hatte sie Angst. Sie hatte Angst und konnte nicht einmal schreien. Ich drückte ab, und ein perfektes kreisrundes Loch erschien auf ihrer Stirn. Das Blut schoss hervor. Ich warf die Pistole mit Ernestos Fingerabdrücken auf den Rücksitz und rannte davon. Ich wusste, dass Ernesto erst nach einigen Sekunden reagieren würde, plötzlicher Schreck lähmt ihn. Wie damals, als ich ihm sagte, dass ich schwanger war. Vor siebzehn Jahren. So ist er, diese Dinge ändern sich nicht, auch wenn man mit einer fünfzehn Jahre jüngeren Frau unterwegs ist.
    Ich sah mich nicht um.
    Wahrscheinlich hat Ernesto mich gesehen. Eine fliehende Frau. Den Rücken einer Frau mit kastanienbraunem, glattem, schulterlangem Haar.

38
    »Name und Vorname?«
    »Laura Pereyra.«
    »Alter?«
    »Siebzehn Jahre.«
    »Ich werde die Behörden benachrichtigen müssen.«
    » … «
    »Name des Vaters?«
    »Mein Kind hat keinen Vater.«
    »Und du? Wo wohnen denn deine Eltern?«
    »Ich hab keine.«
    »Soll das heißen, du bist ganz allein auf der Welt?«
    »Nein, ich habe eine Tochter.«
    »Ich werde die Behörden informieren müssen.«
    »Mach, was du willst.«
    »Soll ich irgendjemandem Bescheid sagen?«
    »Wolltest du nicht die Behörden benachrichtigen?«
    »Wie du willst, wenn dir sonst an niemandem liegt.«
    » … «
    » … «
    »Warte mal, kannst du dir eine Telefonnummer aufschreiben?«
    » … «
    » … «
    »Also gut.«
    »Acht zwei fünf, acht drei acht drei.«
    »Acht drei, acht drei.«
    »Sag ihnen, dass Guillermina da ist.«
    »Okay.«
    » … «
    » … «
    »Danke.«
    » … «
    » … «
    »Ist hübsch, die Kleine, was?«
    »Ja, superhübsch.«
    »Wem sieht sie denn ähnlich?«
    »Zum Glück niemandem.«

39
    Ich laufe die Calle Monroe entlang und höre immer noch Ernestos Schreie. Bei der dritten Querstraße ist dann auch die Polizeisirene zu vernehmen. Ich bin ganz ruhig. Zum ersten Mal seit vielen Monaten bin ich ruhig. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und blendet mich. Irgendwo habe ich die schwarze Sonnenbrille verloren. Das Wetter ist herrlich. An so einem Tag kann mir nichts Schlimmes passieren. Keine Ahnung,
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