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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine
Autoren: Claudia Piñeiro
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ihrem Herrn Papa vor allem Übel beschützt, welche Ironie. Und plötzlich brach diese ganze Welt in sich zusammen. Das heißt, sie war längst zusammengebrochen. Das Schlimme war, dass es sie mitten am Kopf treffen konnte. Na gut, so ist das Leben. Mich hatte es auch am Kopf getroffen. Sie würde daran reifen müssen, etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Dann bekam sie es also eingeprügelt, wie wir anderen auch, zu unserer Zeit. Bäume, Häuser, Autos. Wie damals, als Papa auf Nimmerwiedersehen verschwand. Man denkt, man hat alles, was man braucht, und dazu eine ideale Familie, und von einem Tag zum anderen ist alles futsch. Ich weiß nicht, ob sie damit fertig wird. Ich fürchte, nein. Aber im Moment konnte ich nicht darüber nachdenken. Ich musste jetzt endlich einmal an mich selbst denken. Wäre ja auch noch schöner. Eine Lippenstiftreklame, Autos, Häuser. Rot, gelb, grün. Alicias Schlüsselbund in meiner Tasche. In der Handtasche die Pistole. Innerlich wiederholte ich mir, wie ich vorgehen würde. Trotz Lali. Ich holte das Schaubild aus der Handtasche. Die Pistole rührte ich nicht an. Erstens, Geldautomat. Darauf richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit. Bäume, Häuser, Autos. Erstens, Geldautomat. Danach würde ich an den nächsten Schritt denken. Und an den übernächsten. Und an den danach. Immer schön eins nach dem anderen. Autos, Häuser. Leute, die umherliefen. An ihn wollte ich nicht denken. Nicht an Ernesto. Straßenecken von Buenos Aires, Hupen. Erstens, Geldautomat. Ich war da. Ich wollte hinten aussteigen. Wie es sich gehört. Der Signalknopf funktionierte nicht. Ich rief nach vorne, zum Fahrer. Der Fahrer schrie zurück. Ich beschimpfte ihn trotzdem nicht, weil das nicht mein Stil ist, sonst hätte ich ihn bestimmt beschimpft. Ich lief los, stieß mit jemandem zusammen, wurde von anderen angerempelt. Leute, viele Leute. Auf der anderen Straßenseite war ein Geldautomat zu sehen. Ich überquerte die Straße. Ich wartete, bis ich an der Reihe war. Die Leute vor mir schienen alle Zeit der Welt zu haben, zumindest taten sie so. Aber was wussten sie auch schon? Ich wurde ungeduldig. Endlich war ich dran. Ich fragte den Kontostand ab. Fast zehntausend Dollar. Ich wollte alles abheben, aber mehr als sechshundert Pesos war nicht möglich. Die hob ich auf jeden Fall ab. Zweitens, Schritt eins so oft wie möglich wiederholen. Das versuchte ich, sobald ich vor dem nächsten Geldautomaten stand. Aber ich bekam nur den Hinweis, der Vorgang sei nicht zulässig, an diesem Tag könne ich nicht noch mehr Geld abheben. Das wusste ich nicht, ich hob nie Geld am Automaten ab. Ich ließ mir am Monatsanfang von Ernesto Geld geben und sah, wie ich damit zurechtkam. Natürlich hatte ich auch noch das Geld von meinem Sparkonto, mein »Sparschwein«, das als unauffällige Mauernische in der Garage begonnen hatte. Aber das wollte ich nicht anrühren – falls einmal wirklich schwierige Zeiten kämen. Für alle Fälle versuchte ich es an noch einem Geldautomaten. Mit dem gleichen Ergebnis. Da ging ich direkt auf die Bank. Ernestos Bank natürlich, nicht meine. Ich hätte es lieber nicht getan, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich stellte mich am Ende der Schlange an und wartete. Warum ist man immer der Einzige, der es eilig hat? Als ich endlich dran war, sagte ich, ich wolle das Konto von Ernesto Pereyra und/oder Inés Lamas auflösen. Der Bankangestellte fragte, ob ich die Vollmacht für das Konto hätte. Ich sagte Ja. Aber er sah nach und sagte dann, Ernesto müsse gegenzeichnen. Ich sagte, wie schade, er sei nämlich gerade verreist. Da könne man nichts machen, sagte der Angestellte darauf. Ich sagte, ich brauchte das Geld, weil ich die Operation meiner Mutter bezahlen müsse. Eine wenig überzeugende Notlüge. Aber mir fiel in dem Moment nichts Besseres ein. Ich fing an zu weinen. Auf den Bankangestellten schien meine Lüge Eindruck zu machen. Er sagte, ich solle bitte aufhören zu weinen, wenn es nur um das Geld gehe, solle ich es doch einfach abheben. Ich sagte, wie denn, wenn mein Mann nicht unterschreiben könne? Er sagte, die Unterschrift meines Mannes sei nur nötig, um das Konto aufzulösen, nicht, wenn ich bloß Geld abheben wolle. Da dachte ich, wenn ich eine Bank leiten würde, würde ich als Erstes eine derart schwachsinnige Vorschrift ändern, aber den Angestellten lächelte ich an und bat darum, den Vorgang so schnell wie möglich zu erledigen – schließlich gehe es um das Leben meiner Mutter. Der
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