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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter
Autoren: Ines Thorn
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den Kopf. «Ich weiß», sagte sie. «Ich habe auch davon gehört. Wie gut, dass Heinz beim Gewandschneider die Syndici eingeschaltet hat. Nun trägt er nicht allein die Schuld.»
    «Gibt es nichts Neues?», fragte Gustelies. «Wie   …» Gustelies schluckte, ehe sie weitersprach: «Wie geht es den Gauklern im Verlies? Wie geht es Tom?»
    «Heinz hat sie freigelassen. Gleich nach dem Öffnen der Stadttore sind sie aus Frankfurt abgereist.» Hella sah Gustelies’ Gesicht, sah die Traurigkeit darin. «Aber», sprach sie schnell weiter, «Tom hat Heinz einen Gruß an dich aufgetragen. Einen Gruß, den ich dir hiermit ausrichte. Er sagte, wären die Zeiten besser, hätte er sich ein Eheweib wie dich gewünscht.» Die Schwindelei schien ihr weniger schwer zu wiegen als die Enttäuschung ihrer Mutter.
    Gustelies errötete. Die Traurigkeit schwand aus ihrem Gesicht und machte einer heiteren Wehmut Platz.
    «Und sonst? Gibt es sonst nichts Neues?», fragte sie.
    «Doch. Es ist wahrscheinlich, dass das Kräutermädchen etwas mit den Morden zu tun hat. Sie kannte alle vier Opfer und hat zudem Zugang zu bestimmten Giften, denn sie wohnt bei einer Hebamme, die jedoch gestern verstorben ist. Gewiss findet sich in ihrem Haus Gift jeder Art. Und sie kannte den jungen Eibisch. Eine brave Hausfrau hat ihn vor ihrem Haus gesehen.» Plötzlich hielt Hella inne. «Ich muss noch einmal zurück zum Malefizamt. Ich muss Heinz sagen, dass er das Haus der Hebamme durchsuchen muss.»
    Hella war aufgesprungen, aber Gustelies drückte sie auf die Bank zurück. «Hier bleibst du. Heinz hat die Jurisprudenzstudiert, er ist kein dummer Junge, der sich von seiner zehn Jahre jüngeren Frau erzählen lassen muss, wie er seine Arbeit zu verrichten hat. Todsicher ist er schon von selbst auf eine Haussuchung gekommen.»
    Hella lächelte schwach. «Du hast recht, Mama. Aber wenn ich einmal mit einem Fall beschäftigt bin, dann ist es so, als wäre es ganz der meine.»
    Gustelies verzog das Gesicht. Dann winkte sie ab und fragte: «Wenn es das Mädchen war, warum hat sie die drei Männer und eine Frau getötet?»
    Hella zuckte mit den Schultern. «Ich weiß es nicht. Womöglich ist ihr von den Männern unrecht getan worden. Ihr Gesicht, Mama, du hättest es sehen sollen. Sie ist erst vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, aber ihr Gesicht war leer wie das eines Söldners, der aus dem Krieg kommt und zu viel Grauen erlebt hat.»
    Gustelies nickte. «Es gibt viele Mädchen in der Vorstadt, die schon in frühester Jugend zu viel Schreckliches erleben.»
    Hella starrte vor sich hin. Sie hatte die Hände vor sich auf den Tisch gelegt und saß wie versteinert.
    «He, was ist mit dir?», fragte Gustelies.
    Hella sah hoch: «Und wenn nun die Hure die Mutter des Mädchens war? Wenn sie ihr etwas Schreckliches angetan hat und deshalb von ihr umgebracht wurde? Wenn die beiden nun zusammen in einem Hurenhaus gelebt haben   …» Hella musste daran denken, was man von den Hurenhäusern erzählte: dass dort Jungfrauen meistbietend an einen Freier versteigert wurden. Sie musste auch daran denken, dass der Gewandschneider ein guter Gast im Hurenhaus gewesen war.
    «Der Voss. Meinst du, den könnte sie dort getroffenhaben? Ihm – vielleicht gegen ihren Willen – zu Diensten gewesen sein? Und deshalb wurde er ihr zweites Opfer.»
    «Und wie bringst du den Pfarrer in deiner für Agnes erdachten Geschichte unter?», wollte Gustelies wissen.
    Hella zuckte mit den Achseln. «Ja, der Pfarrer. Er war ihr Nachbar. Keine Ahnung, was der ihr angetan haben könnte.»
    Sie schwieg einen Augenblick, schüttelte den Kopf und fuhr fort: «Ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen. Sicher scheint mir nur, dass das Mädchen von etwas sehr Starkem angetrieben wurde. Vielleicht war ihre innere Qual zu groß, oder sie wollte gleichsam ihre Erinnerungen vernichten. Wer so jung ist und etwas Derartiges tut, muss an der Seele verwundet sein.» Sie biss sich auf die Lippen. «Der Patrizier würde auch ins Bild passen. Er könnte dem Mädchen Liebe vorgegaukelt haben, um seine Lust zu stillen und Rauschmittel zu bekommen, und sie später wie einen Putzlumpen weggeworfen haben. Heißt es nicht, er stand kurz vor der Hochzeit mit einer Patrizierstochter?»
    Eine kleine Weile saßen die beiden Frauen da und hingen ihren Gedanken nach. Dann aber raffte sich Gustelies auf. «Vielleicht wird das Mädchen vor dem Richter reden. Vielleicht kann Heinz ihr Vertrauen gewinnen. Er wird wissen wollen,
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