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funny girl

funny girl

Titel: funny girl
Autoren: Anthony McCarten
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ein sorgfältig zusammengelegtes Familienzelt, etwas mehr als eine Schubkarre mit schmutziger Wäsche. Hübsches Gesicht. Besonderes Kennzeichen: große neugierige, mit Kholstift umrandete Augen, denen nichts entging, Augen, mit denen sie eine Welt betrachtete, die sie nicht ändern konnte. Und über diesen Augen dichte Augenbrauen, schwarz wie Lakritze. Eine Zahnlücke, die, anders als bei anderen Teenagern, nicht von Spangen korrigiert war. Unglücklich zu Hause, unglücklich bei der Arbeit, ruhelos am Tag, ruhelos nachts im Bett, frustriert über ihre Vergangenheit, frustriert beim Gedanken an ihre Zukunft – ein richtungsloses Leben, das nirgendwo hinführte. Angesichts dieser grausamen Symmetrien fragte sie oft Allah, was sie tun sollte. Er antwortete nie.
    Möbel, das war ihr Metier. Möbel. Bevorzugter Stil ihres Vater? Azime nannte es Bagdader Barock. Die Art von überreich verzierten Möbeln, die Türken bevorzugten. Traditionelle Formen. Möbel, die nach Azimes Meinung besser aussahen, wenn man die Plastikhülle drumließ. Aber ihr Geschmack entsprach nicht dem der Kundschaft ihres Vaters. Ihr Vater Aristot: der größte Händler für Bagdader Barock in ganz Nordlondon. Seine Kundschaft bestand aus anderen Türken, Kurden, Zyprioten, Arabern aller Art – fast alles Muslime, die Familien, knapp bei Kasse, die aber doch Sessel und Sofas für einen Thronsaal wollten. Sessel, von denen aus man nicht einfach seinen Kindern sagte, was sie zu tun hatten, sondern von denen aus man Dekrete verlas; von denen aus man nicht einfach die Kinder aufforderte, zu Bett zu gehen, sondern Sperrstunden festsetzte; von denen aus man Leuten nicht sagte, sie sollten den Mund halten, sondern Redefreiheit schlicht und einfach zum Verbrechen erklärte und stattdessen Kriegsrecht verhängte. Das waren Wohnzimmermöbel für Möchtegerndespoten. Und die Preise waren niedrig. Aristot verkaufte Möbel, die man sich leisten konnte: Er wusste, dass niemand sehnsüchtiger davon träumte, König zu sein, als ein Sklave.
    Und auch wenn Gevaş’ Orientmöbel – einfach spitze! Gegründet 1986 all diese Träume zu erfüllen versprach, ging es der Firma schlecht. Die Träumer, die Lehnstuhlpotentaten, kamen nicht mehr, sie hielten ihre Pennys beisammen. Nicht einmal seinen Mitarbeitern, die in der Mittagspause Backgammon spielten, verriet Aristot, dass er bestenfalls noch ein halbes Jahr vom Konkurs entfernt war.
    Nach der Arbeit ging Azime zu Deniz, ihrem einzigen männlichen Freund, einem jungen Mann, der Komiker werden wollte und drei Straßen weiter in der Souterrainwohnung eines viktorianischen Backstein-Mietshauses wohnte. Deniz war Azimes bestgehütetes Geheimnis. Sie fürchtete, dass alle (außer Döndü vielleicht) etwas gegen ihn haben und ihn dafür hassen würden, dass er mit seiner eigenen traditionalistischen Familie gebrochen hatte, weshalb sich ihre Freundschaft im Verborgenen entwickelt hatte. Azimes Eltern und Freundinnen wussten noch nicht einmal, dass es ihn gab. Deniz war großartig. Ein komischer Kauz, aber großartig. Er konnte sie immer aufmuntern, und es waren eigentlich gar nicht mal seine Witze – er kannte nicht viele, und die meisten waren schlecht –, sondern das unglaublich freie, mutige, unbekümmerte, übermütige, vollkommen hemmungslose Leben, das er führte. Sein Leben war das Amüsante an ihm. Wenn man Deniz besuchte, kam man in eine Parallelwelt.
    Sie klopfte mehrere Male. Sah, wie sich drinnen kaum merklich die Vorhänge bewegten: Deniz war also da. Die Tür öffnete sich, aber nur so weit wie die kurze Sicherungskette zuließ. Zwei Augen starrten durch den Spalt: »Ich musste mich erst vergewissern, dass du das bist.«
    »Was ist los? Warum gehst du nicht an dein Handy?«, fragte sie.
    Deniz ’ Augen huschten nach rechts und links und suchten die Straße ab. »Lange Geschichte. Bist du allein?«
    »Wieso gehst du nicht ans Handy?«
    »Wieso? Weil ich meinen Tod vortäusche. Komm rein. Schnell!«
    Er meinte es ernst. Deniz. Immer der Exzentriker. Immer ein paar hundert Schritt hinter der Parade. Aber auch großartig, jedenfalls in Azimes bewundernden Augen. Bei aller Neigung zur Niedergeschlagenheit blieb er lässig, optimistisch, unbekümmert und einfallsreich. Und sie mochte seinen Kampfgeist, der angesichts seiner Lebensumstände nur umso bemerkenswerter war: als Kind liebloser Eltern in Green Lanes zur Welt gekommen; ein Einzelkind, das sich schon früh für witzig hielt, auch wenn kein anderer
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