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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker
Autoren: Sonja Ullrich
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stutzte. »Ich kenne gar nicht Ihren Namen.«
    »Esther Roloff«, klärte ich ihn auf.
    »Frau Roloff.« Er blickte auf. »Sind Sie eine Angehörige des Patienten?«
    »Ich bin seine Verlobte«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
    Er runzelte die Stirn, nahm es aber so hin. Wahrscheinlich war er froh, überhaupt mit jemandem sprechen zu können. »Frau Roloff. Wir haben die Kugel entfernt. Aber der hohe Blutverlust macht uns nach wie vor Sorgen.«
    »Was bedeutet das?«
    »Das kann ich noch nicht sagen. Ein unzureichender Bluttransport verursacht einen Sauerstoffmangel im ganzen Organismus. Besonders treffen kann es das Gehirn. Dort kann es unter Umständen zu irreversiblen Schäden kommen.«
    Irreversibel. Ich wollte nicken, doch es gelang mir nicht. Mein Hals war ganz steif.
    »Hinzu kommt, dass sein Körper durch den kürzlich durchgeführten Entzug sehr beansprucht wurde. Das könnte seinen Heilungsprozess bremsen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Entzug?«
    Er war sichtlich überrascht. »Ihr Verlobter trägt das Armband der ›Liberatio‹.«
    »Der Liberatio?«, wiederholte ich hölzern. Ich kam mir vor wie ein Papagei.
    »Eine Selbsthilfegruppe für Alkoholiker in Bochum-Linden. Trockene Mitglieder tragen das Armband zur Aufklärung der Wirte und Barleute, um einem Rückfall vorzubeugen. In der Gastronomiebranche kennt man die Bänder und viele halten sich daran.« Er schwellte seine Brust. »Sie sind ein mutiges Signal von trockenen Alkoholikern, weil sie ihr Suchtpotenzial quasi zur Schau stellen. Das ist nicht für jeden etwas. Hier.« Er streckte seinen Arm aus. Um sein Handgelenk gebunden war ein schwarzes Lederarmband mit dem Relief eines breiten L auf der Oberseite. Er drehte es um und zeigte mir ein eingekritzeltes Datum. »Ich habe es auch hinter mir. Seit sechs Monaten schon.«
    »Meinen Glückwunsch.«
    »Danke.« Sein stolzes Lächeln erstarb. »Wie dem auch sei. Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine besseren Nachrichten überbringen konnte. Er ist noch nicht außer Lebensgefahr. Ich erlaube Ihnen, ihn kurz auf der Intensivstation zu sehen, aber er ist noch nicht bei Bewusstsein.«
    Endlich schaffte ich ein Nicken. »Wann weiß man mehr?«
    Er zögerte. »Warten wir ein paar Stunden.«
    Dann ging er. Ich blieb noch eine Weile stehen. Schließlich spürte ich die Wärme von Alexanders Körper in meinem Rücken und ich drehte mich um. Seine Miene war ausdruckslos.
    »Geh nur«, sagte er. »Ich warte hier auf dich.«
     
    Die Intensivstation war auf der vierten Etage. Ich bevorzugte den Fahrstuhl, der seufzend die Stockwerke hinaufkraxelte. Nach einer halben Ewigkeit bimmelte das Glöckchen, die Tür öffnete sich und der synthetische Duft industriell gepanschter Betäubungsmittel vernebelte sofort meine Sinne. Ich starrte in den Flur. Die schwarzen Räder zahlloser Krankenbetten hatten ihre Spuren auf dem grauen Linoleum hinterlassen, die Tapeten waren von Kollisionen mit Betten angeraut. Die Belegschaft war zahlreich und flanierte durch die Flure wie durch eine Fußgängerzone. Ich schritt durch die Brandschutztür. Durch die halb offenen Türen der Krankenzimmer drang allerlei Geklimper und Gepiepe lebenserhaltender Maschinen. Eine Frau schrie. Ihre Stimme klang sehr jung, jünger als meine. Ich erschauderte. Eine Krankenschwester stellte sich mir in den Weg. »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte sie und schaute an mir herunter.
    »Das ist nicht mein Blut.« Ich schlängelte mich an ihr vorbei und musste mein Wohlergehen noch zwei weitere Male gegenüber Assistenzärzten beteuern, ehe mir Gregors Zimmertür entgegenkam. Sie war einen Spaltbreit geöffnet und ich drückte meine Finger gegen die Tür. Sie war sehr schwer und ich musste mehr Kraft aufwenden. Als ich eintrat, wurden meine Knie weich.
    Gregor schlief in einem flatterigen weißen Hemd. Die Decke war bis unter seinen Bauchnabel aufgeschlagen, aus seinen Armen ragten Infusionsschläuche. Sein Gesicht war fahl und eingefallen, unter seinen Augen schimmerte die Haut in Farbnuancen von blau bis rosa. Seine Nase war mit Beatmungsschläuchen versorgt, die auf der anderen Seite in einem viereckigen Gerät verschwanden, welches ununterbrochen seufzte. Ein Schrank voller Maschinen stand neben seinem Bett. Glücklicherweise piepte nichts davon.
    Mein Brustkorb schnürte sich langsam zu und ich atmete schwer. Ich setzte mich auf den Hocker neben seinem Bett und umfasste seine Hand. Seine Nägel waren akkurat geschnitten. Unter ihnen klebte noch etwas
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